Gewaltige Explosion in der Köllestraße in Stuttgart: Spurensuche in den Trümmern
Drei Tage nach der gewaltigen Explosion in Stuttgart läuft die Suche nach der Ursache für das Unglück auf Hochtouren. Während die Experten in den Trümmern des Doppelhauses nach Spuren fahnden, rückt die Nachbarschaft zusammen und organisiert Spenden. Ein Ortsbesuch.
Hausnummer 31 existiert nicht mehr
Die Köllestraße im Stuttgarter Westen ist eine Straße wie viele andere im Kessel. Die berühmte Halbhöhenlage am Rand der Talsohle mit Blick auf die Stadt und gegenüberliegend die Weinsteige und der Fernsehturm in Degerloch. Eine fabelhafte Wohngegend. Die City ist fußläufig erreichbar, der Kräherwald und der Birkenkopf ebenso.
Wer die Straße vom Westen her aufsteigt in Richtung Kesselrand, der bemerkt erst einmal nichts vom Inferno, das die Gegend in der Nacht zum Montag (06.03.) erschüttert hat. Zunächst ergießt sich ein letzter Rest vom Löschwasser talwärts, beschädigte Autos fallen auf und es knirscht unter der Schuhsohle. Dann blickt man auf die Reste eines Mehrfamilienhauses, das von einer Explosion zerstört wurde - ein einziges Bild der Zerstörung. Hausnummer 31 existiert nicht mehr.
Was in der Nacht auf Montag passiert ist
Um 3 Uhr in der Nacht zerreißt die gewaltige Detonation die nächtliche Ruhe in der Landeshauptstadt. Der Knall schreckt viele Stuttgarter aus dem Schlaf. Als die Feuerwehr an der Unglücksstelle eintrifft, ist eine Hälfte des Doppelhauses bereits in sich zusammengebrochen, die Trümmer stehen in Brand. Die zweite Gebäudehälfte ist teilweise eingestürzt und brennt ebenfalls lichterloh.

Die Druckwelle der Explosion muss immens gewesen sein. Bis hinunter zum Bahndamm liegen die Trümmerteile. Zahlreiche Fenster benachbarter Häuser in der Straße sind geplatzt, Rollladenkästen geschmolzen, Autos ausgebrannt. Ein Flammeninferno. Der Einsatz der Feuerwehr wird 38 Stunden dauern.

Eine vierköpfige Familie aus dem Gartengeschoss des Gebäudes kann sich auf fast wunderhafte Weise selbst aus den Trümmern retten. Die 55 und 56 Jahre alten Eltern und ihre elf und 13 Jahre alten Kinder werden verletzt, allerdings nicht schwer. Sie kommen umgehend in ein Krankenhaus. In einem Nachbargebäude verletzt sich zudem eine Person an den Glassplittern einer geborstenen Fensterscheibe.

Eine 85 Jahre alte Frau kommt ums Leben
Eine 85-Jährige wird jedoch als vermisst gemeldet. Die Rettungshunde können aufgrund der heißen Trümmerteile und der andauernden Rauchentwicklung allerdings erst Stunden später eingesetzt werden. Da ausgebrannte und beschädigte Fahrzeugwracks die Straße blockieren, kommt zunächst auch kein schweres Räumgerät vor Ort. Letztlich wird gegen 18.30 Uhr eine Leiche aus den Trümmern geborgen.
Die sichere Identifizierung der Toten war wegen des Zustandes des geborgenen Leichnams schwierig. Inzwischen haben kriminaltechnische Untersuchungen und eine Obduktion die Identität der Toten jedoch zweifelsfrei bestätigt: Es handelt sich um die 85-jährige Frau, die in einem oberen Stock der zerstörten Haushälfte gewohnt hatte.
So können Sie die betroffenen Familien unterstützen
Telefon und Internet funktionieren in Teilen der Straße immer noch nicht, berichtet ein Anwohner am Mittwochmittag (08.03.). Die Explosion hat ihn wie viele andere mitten in der Nacht aufgeschreckt. Am Morgen danach war er noch komplett durch den Wind. Beim Frühstück mit seiner Frau zitterte er.
Auch Luigi Pantisano wohnt in der Köllestraße. Allerdings einige Hundert Meter entfernt vom Unglücksort. Der gebürtige Waiblinger ist Stadtrat in Stuttgart und sitzt für das Linksbündnis im Gemeinderat. Trotz der Horrornacht für seine Familie und das Viertel habe man auch „das Glück der Solidarität“ erlebt: „Nachbarn, die uns Decken gebracht haben, uns ins Warme geholt haben, Tee und Kaffee gekocht haben, die verängstigten Kinder mit Spielen versorgt haben, viele, viele, viele Angebote zur Unterbringung, welche wir dankend angenommen haben, Essen gekocht haben, geholfen haben, die Dinge aus der Wohnung zu holen.“
Gemeinsam mit Marina Silverii, einer Kollegin von der Grünen-Fraktion, hat er direkt eine Spendenaktion ins Leben gerufen. Genutzt wird das Konto des Flüchtlingsfreundeskreises Stuttgart West (K. Vachek FF Stuttgart West, Verwendungszweck „Köllestrasse“, IBAN: DE 61 6005 0101 7006 0796 50). Da seit Montagnacht gleich fünf Familien obdachlos geworden sind, wird auch hier um Unterstützung gebeten. Für Wohnungsangebote gilt die Mail-Adresse freundeskreisstuttgartwest@gmail.com.
Eine weitere Sammelaktion hat ein Bekannter via Paypal eingerichtet. Hilfe gibt es auch von der evangelischen Kirchengemeinde Stuttgart-West. Die Kinder einiger Familien besuchten den Kindergarten und den Hort an der Paul-Gerhardt-Kirche. Spenden können überwiesen werden auf das Konto der evangelischen Kirchengemeinde West, BW Bank, DE61 6005 0101 0002 0798 02, Verwendungszweck: Sofort-Hilfe Köllestraße. Wer ein Wohnungsangebot hat, kann sich direkt an Pfarrerin Astrid Riehle (07 11/23 43 74 71) wenden.
Die Nachbarschaft rückt also zusammen. Man hilft, wo man kann. Vor dem Haus stehen immer noch zwei Streifenpolizisten. Als eine Passantin ihnen eine halbe Tafel Schokolade anbietet, lehnen die Beamten höflich ab.
Was war die Ursache für die Explosion?
Doch wie konnte es überhaupt zu der Katastrophe kommen? Auch am Mittwoch sind Brandexperten des Landeskriminalamtes und der Polizei vor Ort und suchen in den Trümmern nach Spuren. Ein Gasleck gilt nach wie vor als der wahrscheinlichste Auslöser der Detonation.

Vermutlich war ein Problem mit den Gasleitungen und den angeschlossenen Geräten im Haus die Ursache. Dafür sprechen laut einem Artikel der Stuttgarter Zeitung Schäden an Gasanschlüssen in der direkten Umgebung. Das Ergebnis der Experten liegt jedoch noch nicht vor, die Ermittlungen der Kriminalpolizei laufen noch. Sie geht derzeit aber von einem Unfall aus. Hinweise auf eine Straftat gebe es bislang keine.
In Stuttgart hatte es zuletzt 2004 eine schwere Gasexplosion gegeben. Im Stadtteil Giebel war ebenfalls mitten in der Nacht ein Mehrfamilienhaus durch einen lauten Knall erschüttert worden. Ein Mann wurde dabei lebensgefährlich verletzt. 1997 kam in Luginsland ein Mann bei einer anderen Gasexplosion ums Leben. Ursache war damals eine durch Frost geplatzte Hauptgasleitung.
Wie steht es also insgesamt um die Sicherheit von Gasheizungen? Tilo Kraus ist Innungsobermeister im Bereich Sanitär, Heizung, Klima und Blechbearbeitung für Stuttgart und den Kreis Böblingen. Gasheizungen hält er eigentlich für sicher. Dem SWR sagte er jedoch: „Was vorkommt, ist, dass alte Gasleitungen, die 50, 60 oder 70 Jahre alt sind, mit der Zeit undicht werden.“ Daher empfiehlt Kraus eine jährliche Wartung.
Gasleitungen am Unglücksort wurden laut Netze BW im Mai 2022 überprüft
Nach Angaben der zuständigen Netze BW waren die Gasleitungen am Unglücksort in der Köllestraße erst im Mai vergangenen Jahres überprüft worden. Üblich seien Kontrollen in Intervallen zwischen zwei und vier Jahren, erläuterte ein Sprecher gegenüber der Deutschen Presse Agentur.
Bereits in der Nacht nach dem Unglück seien die Leitungen erneut gecheckt worden - auch um sicherzugehen, dass sie durch die Explosion keinen Schaden genommen hatten. Dabei sei ein kleiner Schaden bei einem Nachbarhaus entdeckt worden. Am Donnerstag sollten die Leitungen zur Sicherheit erneut geprüft werden.