Landwirte aufgepasst: Wer die Bauernproteste wirklich in die rechte Ecke drängt
Immer wieder wird Medien der Vorwurf gemacht, sie würden die Bauernproteste "in die rechte Ecke drängen". Dass dieser Vorwurf vor allem aus der genannten rechten Ecke kommt, ist nicht verwunderlich. Dahinter steckt eine klare Strategie. Die Realität ist viel komplizierter: Bauernprotest ist nicht gleich Bauernprotest, Stuttgart nicht Dresden und Warnungen vor Unterwanderung und Vereinnahmung durchaus gerechtfertigt. Pauschalisierungen helfen nur Verfassungsfeinden, die auf eine Eskalation der Proteste hoffen. Eine Analyse.
Differenziertes Bild: Hier eine Traktor-Blockade, dort Rücksichtnahme
Vorneweg: Um die Frage, wie gerechtfertigt und angemessen die Bauernproteste sind, soll es in dieser Analyse nicht gehen. Wir haben hier und hier und hier bereits ausführlich darüber geschrieben. Vielmehr geht es um die Frage: Wie rechts ist der Bauernprotest wirklich?
Am Montag (08.01.) bot sich deutschlandweit ein differenziertes Bild. Das fing schon bei den Protestformen an. In manchen Bundesländern wurden gezielt Autobahnauffahrten blockiert, um den Verkehr lahm zu legen. In Stuttgart sagte Demo-Initiator Michael Warth, man habe die Traktor-Fahrten von und zur Kundgebung am Rotebühlplatz absichtlich auf Zeiten außerhalb des Berufsverkehrs gelegt. "Wir wollen niemanden blockieren".
Es gab Proteste, nach denen die Polizei Ermittlungen aufnahm, weil Ampeln am Galgen gezeigt wurden (siehe NDR). Es gab persönliche Angriffe und Gewaltaufrufe. Es gab aber auch Proteste, bei denen explizit zu sachlicher Debatte und Gewaltverzicht aufgerufen wurde.
Landwirt ist nicht gleich Landwirt: "Aktionswoche"-Start ergab vielfältiges Bild
Dass die Proteste nicht homogen sind, liegt auf der Hand: Die Landwirte sind keine homogene Gruppe. Es gab Demos, die der Bauernverband veranstalte, und Demos, die von Privatpersonen oder Initiativen angemeldet wurden. Und eben weil Landwirte so unterschiedlich sind, sind pauschale Urteile unmöglich zu fällen. Was in "den Medien" auch niemand tut. Die Berichterstattung zum Auftakt der Protest-"Aktionswoche" ergab ein vielfältiges Bild. Der Vorwurf, hier würde jemand in die rechte Ecke gedrängt, lässt sich nicht halten.
Rechtsextreme Symbole, getarnte Neonanzi-Demo und Distanzierungen
"Spiegel"-Journalistin Ann-Katrin Müller berichtete am Montag über "zahlreiche demokratiefeindliche und rechtsextreme Sprüche und Symbole" und Zuspruch für radikale Palakate. In Dresden fand eine Demonstration statt, zu der die rechtsextremen Freien Sachsen mobilisiert hatten, und die nur so tat, als wäre sie Teil des Bauernprotests. "Tagesspiegel"-Journalist Julius Geiler schrieb: " Der Dresdner Protestzug hat so gut wie gar nichts mit dem Anliegen der Landwirte zu tun."
Andernorts verwies man Rechtsextremisten der Kundgebung. In Stuttgart versuchte man den vielleicht unmöglichen Spagat: Die "Junge Alternative", Nachwuchsorganisation der rechtsextremen AfD, musste gehen. Der AfD-Bundestagsabgeordnete Dirk Spaniel durfte dann aber sprechen – als "Bürger Stuttgarts". Journalisten berichteten von vielen solcher Distanzierungsversuche, mal gelungen, mal weniger. Es gab also alles: Vom getarnten Neonazi-Protest bis zur friedlich-sachlichen Landwirte-Demo mit klarer Kante gegen Rechts.
Bauernproteste rechtsextrem? Warum das nicht haltbar ist
Rechtsextreme Einstellungen breiten sich in der Gesellschaft aus, wie zuletzt die "Mitte"-Studie zeigte. Natürlich gibt es auch unter Bauern Verfassungsfeinde. Traktoren mit Fahnen der rechtsextremen Landvolk-Bewegung und andere Symbole veranschaulichen das. Rechtsextreme Parteien haben bei der letzten Bundestagswahl laut einer Erhebung, über die das Fachmedium "agrarheute" berichtete, eher wenige Landwirte gewählt. In der Gesamtbevölkerung war der Anteil höher.
Dass rechtsextreme Bauern bundesweit den Ton angeben, dafür spricht wenig. Vielmehr vermitteln die Berichte vom Montag den Eindruck, dass dort, wo Rechtsextremismus stärker normalisiert ist, Landwirte eher mit rechtsextremen Symbolen und Slogans auftraten.
Die Fachstelle Mobirex, die über große Expertise zur extremen Rechten verfügt, schrieb am Dienstag (09.01.) auf "X": "Unserer ersten Einschätzung nach gelang es dem verschwörungsideologischen und rechten Spektrum nicht, den Protesten auf Baden-Württembergs Straßen seinen Stempel aufzudrücken. Die Landwirt*innen setzten den Ton. Wo möglich, wurden jedoch Gelegenheiten zur Anbiederung genutzt."
Rechte Szene: Fieberträume vom "Tag X" und Ärger über den Bauernverband
Dass Experten, Journalisten und Politiker davor warnen, ist trotzdem nicht verwunderlich. Schließlich versuchen Rechtsextremisten seit Wochen, die Bauernproteste für sich zu vereinnahmen. Jede rechtsextreme Partei, von AfD bis Dritter Weg, mobilisierte für Demos am Montag. Als Landwirte eine Fähre stürmen wollten, auf der sich Wirtschaftsminister Robert Habeck befand, spielten Rechtsextremisten dabei eine zentrale Rolle – das zeigen unter anderem "Spiegel"-Recherchen. Es gab Fieberträume vom Generalstreik, vom "Tag X", man war sich sicher: Die Bauern und wir, wir protestieren doch im Grunde für dasselbe.
Nur die Bauern sahen das offenbar anders. Als der Bauernverband sich von Extremisten distanzierte, war man in der Szene wütend. Man versuchte einen Keil zwischen Landwirte und ihren Verband zu treiben. Diese Strategie wendet man nun auch im Hinblick auf die mediale Berichterstattung an: Medien drängen Landwirte nicht pauschal in die rechte Ecke. Aber Rechtsextremisten stellen es so dar. Weil es ihnen nützt.
Gegen die "Regierungsmedien": Welches Spiel Björn Höcke spielt
Beispiel Björn Höcke: Der Thüringer AfD-Politiker, Kopf des rechtsextremsten aller rechtsextremen Landesverbände, warf den "Regierungsmedien" auf Telegram "Spaltung" vor. Weil vor Vereinnahmung und Unterwanderung der Proteste gewarnt wurde. Damit verfolgen Rechtsextremisten wie Höcke zwei Ziele: Das gemeinsame Feindbild – die Medien – erzeugt ein Gemeinschaftsgefühl. Wir gegen die, wir stehen auf der selben Seite. Gleichzeitig wird die – völlig berechtigte – Warnung abgeschwächt.
Es ist so paradox wie folgerichtig: Rechtsextremisten versuchen Bauernproteste zu vereinnahmen, und sie damit in die rechte Ecke zu drängen. Sie pauschalisieren, um ihre Ziele zu erreichen, reduzieren Komplexität, und tun im Endeffekt genau das, was sie Medien vorwerfen. Ein Vorwurf aus strategischen Gründen. Die Ziele, die sie damit erreichen wollen, sind wohl kaum im Sinne der Bauern. Dafür braucht es keine Blick ins Grundsatzprogramm der rechtsextremen AfD, die sich gegen Subventionen in der Landwirtschaft ausspricht.
Pia Lamberty: Rechtsextremisten hoffen auf ein Eskalieren der Bauernproteste
"Letztendlich geht es rechtsextremen Akteuren immer darum, die Demokratie zu überwinden, abzuschaffen, zu zerstören", warnte Sozialpsychologin Pia Lamberty vom Center für Monitoring, Analyse und Strategie (CeMAS) im tagesschau.de-Interview. "Deswegen hofft man, dass diese Proteste im Endeffekt eskalieren oder dass zumindest auf einzelnen Bildern und Videos dieser Eindruck entsteht".
Es ist ein Kampf um die Deutungshoheit entbrannt. Rechtsextreme Parteien und Akteure wollen unbedingt als Spitze der Bauernprotest-Bewegung dastehen. Sie wollen die Gesellschaft spalten und die Demokratie abschaffen. Sie wollen, dass Medien Bauern pauschal in die rechte Ecke drängen und damit rechten Rattenfängern in die Arme treiben. Und weil Medien sich nicht einspannen lassen, tut man eben so, als sei es anders. Dagegen hilft nur, das differenzierte Bild aufrecht zu erhalten, weiter zu benennen was ist – so komplex es auch sein mag. Und die Strategien der Rechtsextremisten zu kennen.