Massen-Demos gegen AfD: Rechtsextreme Partei schlägt panisch um sich (Kommentar)
Rund eine Million Menschen haben am Wochenende gegen Rechtsextremismus und die AfD demonstriert. Es gab Großstadt-Demos, die wegen Überfüllung beendet werden mussten, und kleinere Demos, bei denen Menschen in AfD-Hochburgen auf die Straße gingen. Auch in Stuttgart protestierten bei zwei Veranstaltungen rund 25.000 Menschen. Für Mittwochabend (24.01.) ist in Schorndorf bereits die nächste Demo angesetzt. Anlass für diese unfassbar große Protestwelle ist eine Recherche von „Correctiv“ über ein Geheimtreffen in Potsdam, bei dem rechtsextreme Deportationspläne besprochen worden sein sollen. Wie reagiert die AfD auf all das? Die rechtsextreme Partei feuert aus allen Rohren. Es herrscht Panik.
Hetze gegen „Correctiv“: Journalisten werden bedroht
Zuallererst versucht die AfD, die Recherche von „Correctiv“ in den Dreck zu ziehen. Journalisten werden als „Schmutzwerfer“ und „Linksextremisten“ diskreditiert, Fotos und Namen veröffentlicht. Teilweise durch die rechtsextreme Partei selbst, teilweise durch ihre Anhänger. Von „Stasi-Methoden“ ist die Rede, antisemitisches Verschwörungsgeraune inklusive. Überhaupt sei alles Lüge. „Correctiv“-Mitarbeiter erhalten derweil anonyme Anrufe und Drohungen, sagt das Recherche-Netzwerk.
Gleichzeitig macht sich die AfD über die Enthüllung lustig, nach dem Motto: Da ist doch nichts geheim! Wir sagen es doch ganz offen! Mitglieder der AfD Baden-Württemberg sind hier ganz vorne dabei und brüsten sich regelrecht mit ihren Plänen. Dass diese beiden Strategien – „alles Lüge!“ und „kein Geheimnis!“ – sich logisch widersprechen, scheint für die Partei und ihre Anhänger kein Problem zu sein. Nur: So richtig erfolgreich sind sie damit bislang nicht. Weshalb parallel andere Geschütze aufgefahren werden.
Björn Höcke und die Demos: Der geschichtsvergessene Geschichtslehrer
Der zweite Teil der AfD-Strategie richtet sich gegen die Massenproteste, die man versucht herunterzuspielen und zu diskreditieren. Dafür ist man bereit, alles zu behaupten und jeden noch absurden Vergleich zu ziehen. Eine Kostprobe? Der geschichtsvergessene Geschichtslehrer Björn Höcke verglich die Demos wegen leuchtender Handys mit Nazi-Fackelmärschen von 1933. Derselbe Björn Höcke, der Deutschland in einer Anspielung auf das Dritte Reich vor Jahren eine „tausendjährige Zukunft“ wünschte und sich wegen des Verwendens einer Nazi-Parole vor Gericht verantworten muss. Auch Höcke sieht natürlich eine Verschwörung hinter der Stimmung, die seiner rechtsextremen Partei entgegenweht.
Höcke meint auch, die Demonstrierenden seien „bestellte Massen“, suggeriert, man hätte sie für ihr Erscheinen bezahlt. Belege für diese Behauptung, die man bereits aus dem diktatorischen Mullah-Regime im Iran kennt, hat er keine. Dass seit Höckes Äußerung alte Medienberichte darüber kursieren, dass die AfD 2018 ihren Mitgliedern in Rheinland-Pfalz für die Teilnahme an einer AfD-Demo in Berlin einen „Zuschuss“ in Aussicht gestellt hat, ist wohl kaum in seinem Sinne.
Alles Linksradikale? Warum der AfD das auf die Füße fällt
Ein anderer Ansatz ist es, die die Demonstrierenden in eine linksradikale Ecke zu drängen. Daran beteiligen sich auch der AfD-Bundestagsabgeordnete Jürgen Braun (Wahlkreis Waiblingen) und Lars Haise, AfD-Stadtrat in Schorndorf. Vor Ort, beispielsweise in Stuttgart bot sich ein anderes Bild: An den Demos beteiligten sich in überwältigender Mehrheit Menschen, die die AfD gerne zu vertreten vorgibt: die sogenannte Mitte der Gesellschaft. Quasi: Wir sind das Volk. Eine gewisse Logik birgt die Erklärung trotzdem: Aus Sicht einer rechtsextremen Partei muss nahezu alles linksextrem anmuten.
Bildmanipulation? Keine Beweise, aber dreiste Versuche
Björn Höcke und andere behaupten deshalb auch, die Bilder von Demos seien manipuliert. Manche sagen, mit Hilfe von KI. Dass so viele Leute gegen die AfD auf die Straße gehen, das will man einfach nicht so stehenlassen. Auch hier sucht man vergeblich nach Belegen. Zahlreiche Faktenchecks widerlegen die Behauptungen mittlerweile und liefern logische Erklärungen für Punkte, mit denen versucht wird, Zweifel an der Echtheit der Fotos zu wecken.
Aber so leicht gibt die rechte Szene nicht auf: Rechtsextremismus-Experte Andreas Kemper warnt beim Kurznachrichtendienst „X“ vor rechten Accounts mit Namen wie „Abschiebe Felix“, die versuchen, falsche Fotos in Umlauf zu bringen. Veröffentlicht wurde ein altes Foto aus Moskau mit der Zeile: „Beeindruckende Bilder aus München. So sieht Widerstand gegen die AfD aus.“ Ziel sei laut Kemper, für die Verbreitung von Fake-Bildern zu sorgen, um hinterher Fotos von den Protesten in Zweifel ziehen zu können.
Alice Weidel und der „Dexit“: Müdes Ablenkungsmanöver
Der letzte, verzweifelt und müde wirkende Versuch, irgendwie gegen die Wirkmacht der Demos gegen die AfD anzukommen, kam am Montag (22.01.) von Parteichefin Alice Weidel persönlich. Im Interview mit der "Financial Times" sprach sie vom Brexit als ein mögliches Modell für Deutschland. Zuvor hatte sie den „Dexit“, der in ihrer Partei schon länger diskutiert wird, noch abgelehnt. Die plötzliche Kehrtwende verfolgt mit ziemlicher Sicherheit ein einziges Ziel: wieder die Hoheit darüber zu erlangen, was über die AfD berichtet wird. Den Fokus wegzulenken von der „Correctiv“-Recherche und ihren Auswirkungen, hin zu den Themen, die die AfD selbst setzt.
Demos kratzen an AfD-Selbstbild: „Die Mehrheit schweigt nicht länger“
Warum ist die AfD so in Panik? Weil sie ebenso überrascht von der Heftigkeit der Reaktionen auf die Recherche ist wie viele Experten. Und diese Reaktionen der rechtsextremen Partei durchaus schaden könnten. Zum einen kratzen sie an dem Bild, das die AfD seit Jahren von sich selbst zeichnet: dass sie eine „Alternative“ sei, für die „schweigende Mehrheit“, für „das Volk“. Isabel Fezer, Bürgermeisterin von Stuttgart, sagte am Sonntag (21.01.): „Die Mehrheit schweigt nicht länger." Und scheint wenig Sympathie für die AfD zu hegen.
Noch vor kurzem berichteten Landtagsabgeordnete unserer Redaktion, wie AfD-Abgeordnete angesichts des Umfragehochs ihrer Partei mit stolz geschwellter Brust und breitem Grinsen durch die Flure stolziert sein sollen. Das Grinsen dürfte ihnen nun vergangen sein. Eine Umfrage des Instituts Insa im Auftrag der „Bild“-Zeitung könnte ein erstes Indiz dafür sein, wie die Demos den AfD-Erfolg gefährden könnten: Demnach verliert die AfD bundesweit leicht an Zustimmung. Die Umfrage bezieht sich auf den Zeitraum vom 19. bis 22. Januar, ist also noch ganz frisch. Viele Demos fanden erst nach oder während der Umfrage statt. Die Aussagekraft ist begrenzt. Beruhigen dürfte die AfD das nicht.
AfD und NPD: Ein Urteil als „Blaupause“?
Mitten hinein in diese Stimmung platzt nun noch ein Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom Dienstag (23.01.): Der rechtsextremen Kleinpartei „Die Heimat“, ehemals NPD, wird die Parteienfinanzierung entzogen. Der bayrische Ministerpräsident Markus Söder hatte schon im Vorfeld gesagt, das Urteil könnte eine „Blaupause“ für den Umgang mit der AfD sein – denn die Hürden für das Streichen der Parteienfinanzierung werden als deutlich geringer angesehen als die für ein Parteiverbot. Und Parallelen zwischen AfD und NPD gibt es zur Genüge. Das haben wir mit „Spiegel“-Journalistin Ann-Katrin Müller zuletzt im Bewegungsmelder-Podcast thematisiert.
Es ist zu früh zu behaupten, der Höhenflug der AfD sei zu Ende. Zu hoch sind die Zustimmungswerte für die rechtsextreme Partei, zu groß ist sie in den drei ostdeutschen Bundesländern, in denen in diesem Jahr Landtagswahlen stattfinden. Aber ein frischer, spürbarer Gegenwind schlägt der rechtsextremen Partei entgegen. Und es macht sie rasend.