Schüsse bei Reichsbürger-Razzia: Durchsuchung auch in Stuttgart
Am Mittwochmorgen (22.03.) hat es übereinstimmenden Medienberichten zufolge Durchsuchungen in mehreren Bundesländern und der Schweiz gegeben, die im Zusammenhang mit Ermittlungen gegen ein mutmaßliches Reichsbürger-Netzwerk stehen sollen. Die Maßnahmen richteten sich laut tagesschau.de gegen 19 Personen, darunter fünf Beschuldigte und 14 Zeugen. Bei einer Durchsuchung in Reutlingen wurde dabei laut SWR ein SEK-Beamter angeschossen und leicht verletzt.
Schüsse in Reutlingen: Ermittlungen wegen mehrfachen versuchten Mordes
Der mutmaßliche Schütze wurde festgenommen. Er soll Sportschütze sein und seine Waffe laut dpa legal besessen haben. Einer Pressemitteilung des Generalbundesanwalts zufolge wird gegen den Deutschen nun wegen mehrfachen versuchten Mordes und gefährlicher Körperverletzung ermittelt. Er soll mit einer "großkalibrigen Schusswaffe" auf die Polizisten geschossen haben, die seine Wohnung durchsuchen wollten, und dabei einen von ihnen am Arm getroffen haben. Nach dpa-Informationen befindet sich der mutmaßliche Schütze mittlerweile in Untersuchungshaft.
Durchsuchungen in Baden-Württemberg: Stuttgart, Reutlingen, Tübingen, Rottweil
Wie unsere Redaktion von einem Sprecher der Bundesanwaltschaft erfuhr, wurde in Baden-Württemberg bei vier Personen durchsucht, die allesamt als Zeugen im Ermittlungsverfahren geführt wurden. Durchsuchungen fanden in den Stadt- bzw. Landkreisen Stuttgart, Reutlingen, Tübingen und Rottweil statt. Gegen den Mann, der in Reutlingen den SEK-Beamten angeschossen haben soll, werde nun wegen eines versuchten Tödungsdelikts ermittelt.
Razzia soll im Zusammenhang zu mutmaßlicher Reichsbürger-Terorrgruppe stehen
Die Durchsuchungen wurden im Auftrag des Generalbundesanwalts durchgeführt. Sie richteten sich einem Sprecher zufolge gegen fünf neue Beschuldigte aus Bayern, Niedersachsen, Sachsen und der Schweiz. "Bei ihnen besteht der Verdacht der Unterstützung einer terroristischen Vereinigung."
Die Maßnahmen sollen im Zusammenhang mit der großangelegten Reichsbürger-Razzia vom Dezember 2022 stehen. Damals haben mehr als 3000 Polizeibeamte in elf Bundesländern über 160 Objekte in Deutschland, Österreich und Italien durchsucht. Ein Schwerpunkt lag dabei in Baden-Württemberg. Die Maßnahmen richteten sich gegen mutmaßliche Mitglieder eines Reichsbürger-Netzwerkes, das in Medienberichten teilweise als „Patriotische Union“ bezeichnet wird.
Umsturzpläne und Feindeslisten: Baden-Württemberg als Schwerpunkt
Bei der Razzia im Dezember wurden 25 mutmaßliche Mitglieder – Reichsbürger und Verschwörungsideologen – festgenommen. Die meisten davon in Baden-Württemberg. Sie stehen im Verdacht, einer terroristischen Vereinigung anzugehören oder diese unterstützt zu haben. Ziel der Gruppe sei es gewesen, einen gewaltsamen Sturz des demokratischen Systems herbeizuführen. Dafür sollten laut Generalbundesanwalt Waffen besorgt und „Heimatschutzkompanien“ gegründet werden. Mittlerweile wurden im Umfeld der Gruppe auch drei mutmaßliche Feindeslisten sichergestellt, eine davon mit Namen von Politikern aus Baden-Württemberg.
Unter den Festgenommenen befand sich damals der Adelige Heinrich XIII. Prinz Reuss (71), der als Kopf der Gruppe gilt, wie auch die ehemalige AfD-Politikerin Birgit Malsack-Winkemann. Außerdem sollen dem Netzwerk auch mehrere aktive und ehemalige Soldaten angehört haben – einer davon als Rädelsführer.
Soldaten und Polizisten: Auch diesmal im Fokus der Ermittler?
Auch bei der aktuellen Razzia ging es offenbar teilweise um Menschen aus Sicherheitsbehörden. Recherchen von WDR, NDR und "Süddeutscher Zeitung" (SZ) zufolge sollen sich unter den Personen, bei denen durchsucht wurde, auch mehrere aktive Polizeibeamte und Soldaten befinden. „Sie sollen zum Teil weitere Netzwerke und Gruppen gebildet haben, die ebenfalls von einer extremen Staatsfeindlichkeit geprägt sein sollen.“ Wie die dpa aus Sicherheitskreisen erfuhr, sollen sie "dem Vernehmen nach" nicht zu den Beschuldigten zählen.
Der Sprecher der Bundesanwaltschaft wollte sich hierzu auf Nachfrage nicht äußern. Insgesamt richte sich das Ermittlungsverfahren mittlerweile gegen "rund 60 Beschuldigte".
"Verschwiegenheitserklärungen": Die Ermittlungen weiten sich aus
Dass die Ermittlungen sich nun ausweiten, war abzusehen. Unmittelbar nach der Razzia vom Dezember waren die Ermittler auf mehr als hundert „Verschwiegenheitserklärungen“ gestoßen. Die Menschen, die diese Dokumente, auf denen teilweise mit dem Tod gedroht worden sein soll, unterzeichnet haben, werden als mögliche Mitwisser der mutmaßlichen Terrorgruppe betrachtet.
Ob diese Dokumente im Zusammenhang mit den aktuellen Durchsuchungen stehen, wollte der Sprecher nicht kommentieren – "um die Ermittlungen nicht zu gefährden". Ebensowenig, in welcher Beziehung die Zeugen zur Gruppe stehen und was möglicherweise gefunden wurde. Der Sprecher sagte lediglich: "Dass auch bei Nicht-Tatverdächtigen durchsucht wurde, setzt voraus, dass man erwartet hat, dass man etwas findet, was das Ermittlungsverfahren fördert. Also Beweismittel." Nicht zwingend gegeben sei, dass die Personen der mutmaßlichen Reichsbürger-Terrorgruppe ideologisch nahestehen.
Bei Razzia: Waffenarsenal in Reutlingen gefunden
Nach Informationen des SWR und der ARD gibt es einen Zusammenhang der aktuellen Razzia zu den "Verschwiegenheitserklärungen". So soll der mutmaßliche Schütze von Reutlingen ein solches Dokument unterzeichnet haben. Laut Stuttgarter Nachrichten haben Polizisten bei dem Mann "ein umfangreiches Waffenarsenal" gefunden – inklusive Maschinengewehr und Handgranaten.
Schüsse auf Polizisten: Fälle in Georgensgmünd und Boxberg
In der Vergangenheit gab es bereits mehrere Fälle, in denen Reichsbürger auf Polizisten geschossen haben. Einmal endete das tödlich: 2016 erschoss ein Reichsbürger einen Polizisten im bayrischen Georgensgmünd.
Zuletzt sorgte ein Fall in Baden-Württemberg für Aufsehen: Im April 2022 soll ein Reichsbürger in Boxberg (Main-Tauber-Kreis) mit einem vollautomatischen Gewehr aus Fenstern seiner Wohnung auf 14 Polizisten geschossen haben. Ab Anfang April erwartet den 55-Jährigen vor dem Oberlandesgericht in Stuttgart ein Prozess, unter anderem wegen mehrfachen versuchten Mordes.