Verdacht auf Volksverhetzung in Chats: Ermittlungen gegen Polizisten eingestellt
Mai 2021: Eine Pressemitteilung der Staatsanwaltschaft Stuttgart (StA) und des Polizeipräsidiums Ludwigsburg sorgte für Aufsehen: Man habe strafrechtliche Ermittlungen gegen fünf Polizisten und einen Angehörigen wegen des Verdachts auf Volksverhetzung eingeleitet. Es gehe um „zum Teil volksverhetzende Inhalte“, die in Einzelchats ausgetauscht worden sein sollen. In diesem Zusammenhang habe man auch mehrere Räumlichkeiten durchsucht.
Ein Sprecher des Polizeipräsidiums Stuttgart, dem vier der verdächtigten Polizisten angehörten, sagte damals gegenüber unserer Redaktion: "Wir müssen damit offen umgehen, nichts verharmlosen und nichts unter den Teppich kehren."
Offene Fragen statt offenem Umgang
Februar 2022: Die Staatsanwaltschaft Stuttgart (StA) hat das Ermittlungsverfahren gegen mittlerweile sechs Polizeibeamte und den Angehörigen eines Polizisten eingestellt. Unsere Redaktion erfuhr davon im Zuge einer Anfrage beim Polizeipräsidium Stuttgart. Gegen einen weiteren beschuldigten Polizeibeamten werde noch ermittelt, so die StA auf Nachfrage. „Wegen des Verdachts der Verletzung des Dienstgeheimnisses.“
Eine Pressemitteilung wurde diesmal nicht veröffentlicht. Weder von der Staatsanwaltschaft noch von einem der Polizeipräsidien. Dabei wurde das Verfahren laut StA schon im Dezember eingestellt. Das dürfte Zweifel an den Beteuerungen wecken, mit den Vorwürfen „offen umgehen“ zu wollen. Denn offene Fragen gibt es zur Genüge.
Was war den Beamten konkret vorgeworfen worden?
Damals hieß es in der Pressemitteilung: "Im Rahmen anderweitiger strafrechtlicher Ermittlungen war bekanntgeworden, dass einer der Beamten auf seinem Mobiltelefon Bilder und Videos mit zum Teil volksverhetzenden Inhalten sowie Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen gespeichert und mit den anderen Beschuldigten in Einzelchats ausgetauscht haben soll."
Schon hier blieben Fragen offen, die bislang nicht offiziell beantwortet wurden: Zu den „anderweitigen strafrechtlichen Ermittlungen“, die den Stein überhaupt erst ins Rollen brachten, gibt die StA Stuttgart noch immer keine Auskunft. Es handle sich dabei nicht um ein Verfahren der Behörde, heißt es als Begründung.
Dasselbe gilt für die Frage, welche „verfassungswidrigen Organisationen“ hier gemeint waren. Dazu könne man keine Auskünfte erteilen, da das Ermittlungsverfahren ja nun eingestellt wurde, so eine Sprecherin der StA Stuttgart. Zuvor hatte man die Frage mit Verweis auf die laufenden Ermittlungen nicht beantwortet. Auch die Information unserer Redaktion, dass es sich um Kennzeichen aus der rechten Szene handelt, wurde bis heute nie offiziell bestätigt.
Wie viele Polizisten sind eigentlich nun beschuldigt gewesen?
Die Staatsanwaltschaft hatte ursprünglich gegen fünf Polizeibeamte und einen Angehörigen ermittelt. Vier Polizisten gehörten zum Polizeipräsidium Stuttgart. Einer gehörte zum Präsidium Technik, Logistik, Service, das unter anderem für Beschaffung und digitale Infrastruktur zuständig ist.
Auf Nachfrage bestätigt die Behörde, dass zwischenzeitlich zwei weitere Polizisten unter Verdacht standen. Es wurde also gegen insgesamt siebe Beamte „hinsichtlich der Straftatbestände der Volksverhetzung und des Verwendens von Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen“ ermittelt.
Warum wurden die Ermittlungsverfahren eingestellt?
Wieso wurden die Ermittlungsverfahren schließlich eingestellt? „Die Ermittlungen haben ergeben, dass hinsichtlich der erwähnten sieben ehemals Beschuldigten kein hinreichender Tatverdacht hinsichtlich eines strafrechtlich relevanten Verhaltens vorlag“, schreibt die StA Stuttgart auf Nachfrage. Es sei entsprechend keine Anklage erhoben worden.
Die Staatsanwaltschaft schreibt weiter, „dass keine zur Verwirklichung der Straftatbestände der Paragrafen 86a [Verwenden von Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen, Am. d. Red.] und 130 StGB [Volksverhetzung, Anm. d. Red.] erforderlichen Handlungen (Verbreiten, der Öffentlichkeit zugänglich machen bzw. öffentlich zugänglich machen) vorlagen.“
Gab es diese Chats nun – oder nicht?
Gab es die Chats unter Polizeibeamten, in denen „fremdenfeindliche Inhalte“ und Symbole verfassungswidriger Organisationen ausgetauscht worden sein sollen – oder gab es sie nicht?
Auf eine erste Nachfrage heißt es dazu von der StA, „dass die ehemals Beschuldigten, gegen die das Verfahren eingestellt wurde, keinen Straftatbestand verwirklicht haben“. Auf eine zweite Nachfrage: „Nachdem die hiesigen Ermittlungen zwischenzeitlich mangels hinreichenden Tatverdachts eingestellt wurden, bitte ich um Verständnis, dass weitere inhaltliche Auskünfte nicht erteilt werden können.“
Das heißt im Grunde nur: Wenn es diese Chats gegeben haben sollte, wurden sie von Seiten der StA als strafrechtlich irrelevant eingestuft. Doch die Frage hat weit mehr als bloß eine strafrechtliche Dimension. Polizisten stehen als Vertreter des Staates auch unter besonderer Beobachtung, wenn es um die Frage geht, ob sie dessen Werte auch angemessen repräsentieren und schützen können.
Warum ist die Sache damit noch nicht erledigt?
Der Stuttgarter Polizeipräsident Franz Lutz hatte sich bereits zu Beginn der Ermittlungen in einer Pressemitteilung geäußert: "Fremdenfeindlichkeit oder Diskriminierung haben in den Werten der Polizei keinen Platz und werden bei der Stuttgarter Polizei in keiner Weise geduldet."
Ein Sprecher sagte gegenüber unserer Redaktion damals: "Diese Menschen haben einen Diensteid auf die Verfassung geleistet, die haben sich zur freiheitlich-demokratischen Grundordnung bekannt. […] Deshalb gibt’s hier auch den Beamten gegenüber erst mal keine Toleranz, so lange, bis die Vorwürfe geklärt sind.“
Das Polizeipräsidium Stuttgart hatte umgehend gegen insgesamt acht Beamte Disziplinarverfahren eingeleitet. Gegen vier der anfangs Beschuldigten und „drei weitere Beschäftigte, die ebenfalls in den Kommunikationsprozess der beschuldigten Beamten eingebunden waren“. Den Beamten wurde vorläufig Dienstverbot erteilt. Man wollte „alle relevanten Kommunikationsinhalte und Kommunikationsbeziehungen“ aufklären.
Was wurde aus den Disziplinarverfahren?
Schon im Mai 2020 war der Polizei Stuttgart also klar, dass die Vorfälle über das, was im Rahmen strafrechtlicher Ermittlungen geklärt werden könnte, hinausgehen. Man kündigte deshalb an, sich auch intern um Aufklärung bemühen zu wollen. Doch was wurde aus den Disziplinarverfahren und Dienstverboten?
„Die disziplinarrechtlichen Ermittlungen dauern an“, schreibt ein Sprecher der Stuttgarter Polizei auf Nachfrage. Man stehe weiterhin „für eine umfassende Aufklärung der Vorfälle“, könne aber bis dahin keine Auskunft über einzelne Chats erteilen. „Die Ermittlungsergebnisse werden […] aufgearbeitet und individuell bewertet.“ Ähnlich klingt die Stellungnahme des Polizeipräsidiums Technik, Logistik, Service.
Sind die Polizisten wieder im Dienst?
Das Polizeipräsidium Stuttgart hat mittlerweile für sechs der beschuldigten Beamten das Verbot der Führung der Dienstgeschäfte aufgehoben. Bis auf weiteres seien sie im Innendienst eingesetzt. „In einem Fall wurde die Verbotsverfügung gegenstandslos, da der Eintritt in den Ruhestand erfolgte“, so der Sprecher.
Dem Präsidium sei es wichtig zu betonen: Die Aufhebung sei eine Reaktion auf die Einstellung der Strafverfahren, „hiermit ist jedoch keine Bewertung einer disziplinarrechtlichen Relevanz verbunden.“
Worum geht es bei den noch ausstehenden Ermittlungen?
„Die Ermittlungen gegen einen Polizeibeamten wegen des Verdachts der Verletzung des Dienstgeheimnisses dauern an.“ Dieser Satz der StA Stuttgart aus einem der Antwortschreiben an unsere Redaktion wirft weitere Fragen auf.
Um wen handelt es sich hier? Den Beamten, der „fremdenfeindliche Inhalte“ auf dem Handy gehabt haben soll? Einen der anderen ursprünglich Verdächtigten? Oder einen der zwei Beamen, gegen die sich im Laufe des Verfahrens ein Anfangsverdacht ergeben hatte? Und: Ist die Tatsache, dass der Verdächtige Personen auf die mutmaßlich volksverhetzenden Inhalte aufmerksam machte, Gegenstand dieser Ermittlungen?
Die Staatsanwaltschaft erteilt hier mit Verweis auf das laufende Verfahren keine weiteren Auskünfte. Ob sich die Fragen nach Abschluss der Ermittlungen noch klären lassen werden, ist angesichts der bisherigen Informationspolitik zumindest fraglich. Fest steht: Bis zur umfassenden Aufklärung der Vorfälle ist es noch ein weiter Weg.
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