VfB Stuttgart

Das sind die Lehren für den VfB aus dem Spiel im Hexenkessel von Istanbul

Europa League Fenerbahce Istanbul vs. VfB Stuttgart
Kurze Aufregung nach dem Schlusspfiff: Mehrere Spieler geraten aneinander, Worte fliegen, Hände auch – doch der VfB behält die Contenance im hitzigen Istanbuler Hexenkessel. © Michael Treutner

Istanbul. Der VfB Stuttgart hat am Donnerstagabend (23.10.) in der Europa League gegen Istanbul beileibe kein Desaster erlebt. Vielmehr eine Lehrstunde – eine, die wehtut, aber nützlich sein kann. Das 0:1 bei Fenerbahce war kein schlechtes Spiel, aber eines, das zeigte, woran es den Schwaben auf internationalem Parkett noch fehlt: an Abgeklärtheit, an Durchsetzungsvermögen, an jener kleinen Portion Cleverness, die große Mannschaften in engen Spielen auszeichnet. In der ohrenbetäubenden Kulisse des Şükrü-Saracoğlu-Stadions hielt der VfB lange stand, blieb ruhig, spielte mutig – und lernte, dass man in Europa mehr braucht als Kontrolle und Ballbesitz. Jetzt geht es darum, die richtigen Schlüsse zu ziehen.

„Wir haben mutig gespielt, genauso, wie wir spielen wollten“, sagte Cheftrainer Sebastian Hoeneß nach dem Spiel. Der Trainer wollte keinen heroischen Kampf, sondern ein erwachsenes Spiel sehen. Über weite Strecken bekam er das auch: strukturierte Abläufe, gute Phasen im Ballbesitz, klare Organisation gegen den Ball. Nur eines fehlte – der Punch.

„Wir sind ins letzte Drittel gekommen, waren dann aber nicht zwingend genug“, erklärte Kapitän Atakan Karazor. Es war die freundlichere Version von dem, was Sportvorstand Fabian Wohlgemuth in der Mixed Zone deutlicher formulierte: „Uns hat der Punch gefehlt. Mehr Durchsetzungsvermögen, mehr Abgeklärtheit. Ein bisschen mehr Dinge, die unangenehm sind für den Gegner – die der Schiedsrichter vielleicht gar nicht sieht.“ Es war ein Satz, der hängen blieb, weil er genau den Punkt traf: Der VfB spielte in Istanbul, als wäre das Spiel ein Schachbrett. Fenerbahce spielte, als wäre es ein Straßenkampf. Und Straßenkämpfe gewinnt man selten mit Passquoten.

Der VfB hatte in Istanbul Kontrolle ohne Konsequenz

Spielkontrolle hatte der VfB, phasenweise sogar deutlich: 65 Prozent Ballbesitz, 83 Prozent Passquote, mehr gewonnene Zweikämpfe. Nur der xG-Wert (0,95 zu 1,97) erzählte die ehrlichere Geschichte. Fenerbahce nutzte die kleinen Momente, Stuttgart tat sich schwer, sie überhaupt zu erzeugen. „Am Ende entscheiden Kleinigkeiten“, sagte Angelo Stiller. „Wir haben eigentlich ein gutes Spiel gemacht, aber uns hat der letzte Punch gefehlt.“ Abwehrchef Jeff Chabot klang ähnlich: „Wir wussten, dass es hitzig wird. Spielerisch sind wir die bessere Mannschaft, aber Fener macht es cleverer. Daraus müssen wir lernen.“

Lernen – das war das Wort des Abends. Es tauchte in fast jedem Satz auf, in jeder Antwort, als wüssten alle Beteiligten, dass dieser Abend mehr war als nur eine Niederlage. Der VfB hat sich in Istanbul nicht versteckt, nicht verkrampft, nicht provozieren lassen – und das allein war schon eine Leistung. „Wir haben uns weder einschüchtern noch von der Hektik anstecken lassen“, sagte Sportvorstand Wohlgemuth. „Man konnte sehen, dass wir über Ballbesitz und Spielkontrolle das Spiel übernehmen wollten. Das ist uns in der ersten Halbzeit auch gelungen.“

Der VfB Stuttgart zwischen Anspruch und Lernen

Nur eben: In der Europa League reicht eine gute Halbzeit selten. Und wenn das Spiel kippt, braucht es jene Abgebrühtheit, die man nicht trainieren kann. „Das ist internationaler Fußball“, so Wohlgemuth weiter. „Da gehören Theatralik, Provokationen und kleine Fouls dazu. Daran müssen wir uns gewöhnen.“ Nach dem Schlusspfiff kam es zu Rudelbildungen, zu viel Gestik und Emotion. Chabot winkte später ab: „Viele Emotionen, aber nicht der Rede wert. Alles okay.“

Die Europa-League-Tabelle sieht nach drei Spielen nüchtern aus: drei Punkte, zwei Niederlagen. Keine Katastrophe, aber auch kein Trost. Hoeneß blieb sachlich: „Wir haben zu wenige Punkte, das ist klar. Aber wir sind erst am dritten Spieltag. Abgerechnet wird nach acht.“ Der Satz war kein Zweckoptimismus, sondern Ausdruck eines Prozesses. Der VfB will nicht nur mitspielen, sondern dazugehören – zu den europäischen Mannschaften, die aus solchen Nächten etwas mitnehmen. Und vielleicht war diese Niederlage genau das, was der VfB brauchte: ein Spiegel, kein Rückschlag. Die Mannschaft hat gezeigt, dass sie stabil ist, dass sie Fußball spielen kann, dass sie Haltung hat. Jetzt muss sie lernen, schmutzig zu gewinnen. Denn nur dann wird aus einer mutigen Mannschaft eine erwachsene.

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