Ein Abend unter Hochspannung gegen Tel Aviv: Wie der VfB Stuttgart damit umgeht
Stuttgart. Bei manchen Fußballspielen ist der Sport nur der kleinste Teil eines größeren Geschehens. VfB Stuttgart gegen Maccabi Tel Aviv – das ist an diesem Donnerstag genau so ein Abend. Die Stadt rüstet sich für den größten Polizeieinsatz seit Jahrzehnten, die Fans für den wohl strengsten Stadionbesuch ihres Lebens. Und mittendrin steht ein Team, das versucht, diese Partie trotzdem wie jede andere zu behandeln: als Chance. Als Schritt in Richtung K.o.-Runde.
Es wird ein Europa-League-Spiel sein, aber eigentlich ist es viel mehr als das. Der VfB Stuttgart trifft am Donnerstagabend auf Maccabi Tel Aviv – ein Gegner, der in diesen Monaten nie nur ein sportlicher sein kann. Ein Abend, der in Stuttgart seit Tagen wie ein Großereignis behandelt wird. Und das liegt weniger am Tabellenstand des VfB als an einer Sicherheitslage, die seit Wochen beunruhigt.
Sperren und Verletzungen: Personalengpass in der VfB-Innenverteidigung
Die Innenverteidigung des VfB sieht derweil aus wie ein Möbelstück, an dem nur noch zwei Schrauben halten. Jeff Chabot ist gesperrt, Luca Jaquez und Dan-Axel Zagadou verletzt, Ameen Al-Dakhil kränkelt – und wäre selbst gesund nicht spielberechtigt. Übrig bleiben Ramon Hendriks und Finn Jeltsch, die gegen Tel Aviv starten sollen. „Die Personalsituation ist schon angespannt“, sagt Trainer Sebastian Hoeneß. Der Engpass hat immerhin einen Nebeneffekt: Für die Nachwuchsspieler Maximilian Herwerth und Christopher Olivier öffnet sich eine Kader-Tür.
Hoeneß spricht auf der Pressekonferenz vor dem Spiel viel über Fußball – und zugleich über alles, was rundherum auf ihn einwirkt. „Wir haben eine sehr wichtige Partie“, sagt er. Mit einem Sieg stünde der VfB mit zwölf Punkten kurz vor dem Weiterkommen, „dann könnten wir nach dem DFB-Pokal den nächsten Haken setzen“. Die Lage ist übersichtlich: Gewinnt der VfB, ist die Europa League auch ab Februar 2026 planbar. „Wenn wir gewinnen, haben wir die Playoffs quasi fix“, sagt Stürmer Deniz Undav.
Dass dieses Spiel nicht unter normalen Umständen stattfindet, weiß allerdings jeder im Klub. Seit Tagen ist klar, dass am Donnerstag der größte Polizeieinsatz seit Jahrzehnten in Stuttgart stattfinden wird. Mehrere Tausend Beamte sollen rund um die Partie für Sicherheit sorgen. Hoeneß sagt: „Das wird besonders gehandhabt.“ Und doch versuche man, „das Spiel so normal wie möglich zu spielen. Für uns geht es nur um den Sport und unser fußballerisches Ziel.“
Warum Teile der VfB-Ultras das Tel-Aviv-Spiel boykottieren
Die Ultra-Szene des VfB sieht das naturgemäß anders. Einige Gruppierungen wie „Schwabensturm 02“, „Schwaben Kompanie“ und „Crew 36“ werden das Spiel boykottieren. Die Sicherheitsmaßnahmen ließen ihnen „keinen Raum für Ultras“, heißt es – ein bewusster Verzicht, ohne die Maßnahmen selbst zu kritisieren. Das „Commando Cannstatt“ hingegen wird im Stadion sein, aber mit reduziertem Material. Und die Gruppe weist ausdrücklich darauf hin, dass die Kurve „nicht zur Bühne für geopolitische Äußerungen“ werden soll.
Es ist absehbar, dass die MHP-Arena an diesem Abend nicht nur optisch anders aussehen wird. Es wird auch leiser sein. Denn neben dem Boykott dürfte es weitere Lücken geben: Die Anstoßzeit 18.45 Uhr an einem Werktag, ein zu erwartendes Verkehrschaos rund um den Neckarpark und die intensivsten Einlasskontrollen, die dieser Standort je erlebt hat – all das wird dafür sorgen, dass viele Fans wohl lieber zu Hause bleiben. Nicht aus Protest, sondern aus praktischen (und durchaus nachvollziehbaren) Gründen.
Für die, die kommen, wird der Stadionbesuch ein logistischer Ausnahmezustand. Metalldetektoren am Einlass, keine Taschen, keine Rucksäcke, keine Handtaschen. Die Laptops der Journalisten nur in durchsichtigen Plastiktüten. Hunderte Ordner, sichtbare Bewaffnung der Polizei, abgesperrter Luftraum, Hubschrauberüberwachung. Wer nach 17.15 Uhr ankommt, könnte den Anpfiff verpassen. Eine Beschleunigung der Kontrollen wird es nicht geben.
So viele Fans aus Israel werden in Stuttgart erwartet
Der Hintergrund all dessen: Eine Partie, die rund ein Jahr nach den schweren Ausschreitungen von Amsterdam stattfindet, bei denen israelische Fans gezielt angegriffen wurden. Eine Sicherheitslage, die der Antisemitismusbeauftragte des Landes, Michael Blume, als „besorgniserregend“ einstuft. Und ein Konflikt, der auch im Sport versucht wird zu instrumentalisieren. Gleichzeitig sagt Alon Meyer, Präsident des jüdischen Sportverbandes Makkabi Deutschland, es sei „ein Lichtblick“, dass ein solches Spiel überhaupt stattfinden kann. 1.000 bis 2.000 israelische Fans werden erwartet.
Auch sportlich ist die Lage kompliziert. Maccabi Tel Aviv hat in der Europa League zuletzt 0:6 gegen Lyon verloren. Die israelische Liga ist derweil geprägt von politischen Spannungen, die Fanszenen von Radikalisierungstendenzen. Der Trainer Zarko Lazetic trat kurzzeitig zurück, nachdem Hooligans seine Wohnung belagerten – und wurde vom Klub überredet, weiterzumachen.
Hoeneß sieht dennoch eine „Mannschaft mit fußballerischem Ansatz“, die gefährlich werden könne, wenn der VfB nicht „bei einhundert Prozent“ sei. Und all die sicherheitstechnischen Begleitumstände? „ Ich weiß natürlich, dass es gerade für unsere Fans sehr hohe Anforderungen gibt“, sagt Sebastian Hoeneß, „das ist schade, will keiner. Auf der einen Seite. Auf der anderen Seite will auch jeder das höchste Maß an Sicherheit. Und da vertrauen wir einfach den Behörden.“ Das Drumherum müsse man ignorieren, meint derweil Deniz Undav: „ Unser Job ist es, auf dem Feld die Leistung zu bringen und alles andere auszublenden. “ Selbst die jüngste 0:5-Niederlage beim FC Bayern sei schnell „analysiert und abgehakt“ worden: „Da ist ein Haken dran.“
Am Ende dieses Abends, so die Hoffnung aller Beteiligten, soll eine ganz einfache Botschaft stehen: dass sich der Aufwand lohnt. Dass die MHP-Arena, wie Vorstandschef Alexander Wehrle sagt, „ein Ort des Fußballs bleibt“. Und dass ein Spiel, das die Stadt für Stunden in einen Ausnahmezustand versetzt, am Ende doch das sein kann, was es sein soll: Fußball. Und nur Fußball.




