VfB Stuttgart

Nübel wankt, Urbig glänzt – und der VfB verliert gegen Bayern komplett den Faden

Fußball VfB Stuttgart vs. FC  Bayern München
Ein Abend mit zu vielen Wacklern: VfB-Keeper Alexander Nübel unterliefen gegen seinen Stammverein mehrere Unsicherheiten – das 0:3 rutschte ihm sogar durch die Handschuhe. © Volker Mueller

Stuttgart. Es war ein Bild, das zu diesem Stuttgarter Abend passte wie ein letztes Schlaglicht: Jonas Urbig verließ die Arena mit einem entspannten Lächeln, Alexander Nübel dagegen ging wortlos, den Kopf gesenkt. In einem Spiel, das viel über den Zustand zweier Mannschaften erzählte, fiel die Torwart-Geschichte fast zwangsläufig heraus – auch weil sie in München längst zur Zukunftsfrage geworden ist. Und weil das Duell Urbig gegen Nübel an diesem Nachmittag so eindeutig endete wie das Spiel selbst.

Dass der FC Bayern das 5:0 beim VfB mit leichter Überheblichkeit als „eins der besseren Auswärtstrainings“ hätte verbuchen können, lag nicht nur an Ausnahme-Stürmer Harry Kane, der eine Stunde lang geschont wurde und anschließend doch mal eben drei Tore erzielte. Es lag auch am Kontrast auf der Linie: Auf der einen Seite Urbig, 22 Jahre jung, mit langen diagonalen Bällen, mutiger Spieleröffnung und jener Selbstverständlichkeit, die man sonst nur von Leuten kennt, die regelmäßig Titel hochhalten. Auf der anderen Seite Nübel, 29, an guten Tagen ein herausragender Keeper – und an diesem Abend ein Mann, der auch mit dem Druck der eigenen Geschichte kämpfte.

Der Keeper, der zu viel wollte – und der, der einfach spielte

Vielleicht war es nur ein unglücklicher Tag. Vielleicht war es aber auch der Moment, in dem sich die Torwartfrage beim Rekordmeister leiser, aber deutlich verschob. Denn während Urbig das Spiel wie ein Pianist strukturierte – ein langer Ball, Laimer, Hackentor, 1:0 –, rutschte Nübel beim 0:3 ein Ball durch, den er unter normalen Umständen fängt, auch im Halbschlaf. Die Unruhe war vorher schon sichtbar gewesen, kleine Zögerlichkeiten im Aufbau, immer wieder kleinere Unsicherheiten. Und das alles ausgerechnet gegen den Klub, dem er gehört, für den er sich seit Jahren als Neuer-Nachfolger empfiehlt.

Bayern-Sportvorstand Max Eberl wählte nachher Worte wie Watte: „Ganz normale Gespräche“, „keine Eile“, „herausragender Torwart“. Aber wer Eberl kennt, weiß, dass diese Vokabeln auch beruhigende Nebelkerzen sein können, solange Manuel Neuer noch selbst entscheidet, ob er verlängert oder nicht. Dass Urbig an diesem Abend Selbstbewusstsein tankte, war jedenfalls unübersehbar.

Der VfB und seine halbe Stunde Hoffnung

Dabei war die Partie nicht von Anfang an das einseitige Lehrstück, das das Ergebnis vermuten lässt. Die Stuttgarter brauchten gut 20 Minuten, um in eine Struktur zu finden, die gegen Kompanys Bayern überhaupt erlaubt, ruhig nachzudenken. Kompany lässt das Wort „Abtastphase“ inzwischen ja schon aus Prinzip verstauben: seine Mannschaft überfällt den Gegner, bevor der weiß, wer neben wem verteidigt. Hoeneß hatte indes ein neues Innenverteidigerduo aufgeboten – Al-Dakhil und Hendriks –, das sich früh kaum sortieren konnte und von Jackson sofort unter Druck gesetzt wurde. Für Nübel hieß das: permanent im Anschlag, aber nie im Rhythmus.

Und doch: Zwischen Minute 25 und 45 entwickelte der VfB so etwas wie Oberwasser. Nikolas Narteys Ausgleich per Kopf wurde vom VAR annulliert. Und hätte Chema kurz vor der Pause getroffen, die Partie wäre womöglich in eine völlig andere Richtung gekippt. Es war die Phase, in der der VfB seinen Anspruch zeigte – und zugleich, wie wenig Fehler er sich gegen Bayern erlauben darf.

Kane, Pavlovic, Karl: Die Drohkulisse an der Seitenlinie

Dann kam die 60. Minute. Man hätte sie einrahmen können als taktischen Wendepunkt, aber dafür war sie zu brutal eindeutig: Kane, Pavlovic, Karl – drei Spieler, die zusammen so viel Wucht ausstrahlen wie ein mittleres Bundesliga-Budget. „Eine Drohkulisse, die vom DFL-Regelwerk offenbar gedeckt ist“, so die Süddeutsche Zeitung. Hoeneß’ Mannschaft sah die Einwechslung, und man sah ihr an, dass sie wusste, was kommt. Nach Pavlovics hartem Zweikampf gegen Angelo Stiller lief Kane frei an, zog aus 25 Metern ab – und erzielte das 2:0, als würde er gerade den Deckel einer Müsli-Packung öffnen. Danach kam der Rest wie aus einem Guss: Stanisics 3:0 durch Nübels Handschuhe, Assignons Handspiel samt Rot, der Elfmeter zum 4:0, das 5:0 in der 88. Minute.

Ein Abend mit Folgen für den VfB Stuttgart

Der VfB blieb nachher erstaunlich klar. Angelo Stiller sprach von einer „bodenlosen zweiten Halbzeit“, Deniz Undav von einem „Zwei-Klassen-Unterschied“. Und sie hatten recht: Nicht alles war Bayerns Übermacht geschuldet. Es war auch ein Abend, an dem Stuttgart im Pressing zu spät kam, im eigenen Aufbau zu wenig Präzision fand und im Strafraum die letzten Meter nicht ging.

Dass die Mannschaft zuletzt beim HSV verloren hat, dass aus drei Bundesligaspielen nur ein Punkt blieb, dass das Polster aus dem Saisonstart dahin ist – all das wird in Stuttgart registriert, ohne Alarm zu schlagen. Aber es wird registriert. „Unser Gefühl ist nach wie vor gut, weil wir eine gute Saison spielen“, sagte Sportvorstand Fabian Wohlgemuth, merkte aber auch an: „Uns allen ist bewusst geworden, dass es zur absoluten Spitze noch ein paar Schritte sind.“ Die kommenden Wochen werden für diesen VfB ein Charaktertest: Europa League gegen Tel Aviv, Bremen auswärts, Hoffenheim zu Hause. Gegner, die keine Drohkulisse wie Kane bilden, aber unangenehm genug sind, um Trends zu verfestigen – in jede Richtung.

Für die Bayern war dieser Nachmittag eine Machtdemonstration. Für den VfB eine Mahnung. Und für die Torwartfrage in München ein Kapitel, das lauter spricht als alle Pressekonferenzen: Urbig hat sich bemerkbar gemacht. Nübel hat sich selbst ein wenig im Weg gestanden.

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