Karazor-Shitstorm in der Türkei: VfB-Profi wird Feindbild vieler Fans - warum?
Auf Atakan Karazor prasselt in der Türkei aktuell ein massiver Shitstorm ein. Der Profi des VfB Stuttgart steht in den Sozialen Netzwerken am Pranger und ist für viele FeministInnen in kürzester Zeit zum Feindbild geworden. Hintergrund ist das laufende spanische Strafverfahren wegen sexueller Nötigung gegen den 28-Jährigen. Der Fall schlägt in der Türkei hohe Wellen und sorgte vermutlich dafür, dass der Kapitän der Schwaben aus dem Kader der türkischen Nationalmannschaft gestrichen wurde. Wir erklären, was hinter dem Fall steckt, warum Karazor so angefeindet wird und wie es nun weitergehen könnte.
Wollen Sie unseren VfB-WhatsApp-Channel abonnieren? Dann klicken Sie hier auf diesen Link.
Atakan Karazor steht am Pranger: Ibiza-Fall holt Profi des VfB Stuttgart ein
In der Türkei schlagen AktivistInnen Alarm: Die Zahl der Femizide, also die Tötung von Frauen oder Mädchen als extreme Form geschlechtsbezogener Gewalt, nimmt immer weiter zu. Im Jahr 2023 wurden in der Türkei laut der Plattform „Wir beenden Frauenmorde“ mindestens 403 Frauen umgebracht, meist durch frühere Partner oder nahestehende Männer. Die Dunkelziffer dürfte weitaus größer sein – weshalb das Land aktuell eine große Protestwelle erlebt. Präsident Erdogan will durch den steigenden Druck aus der Bevölkerung nun sogar das Strafrecht nach Gewalttaten gegen Frauen verschärfen (zum Bericht auf zeit.de).
Genau in diese Phase des Protests fällt nun die erstmalige Berufung Atakan Karazors für die türkische Nationalmannschaft. Der Kapitän des VfB Stuttgart wurde für die Länderspiele gegen Montenegro (bereits am 11. Oktober) und gegen Island (14. Oktober) nominiert. Eigentlich hatte der VfB-Profi gehofft, für die Heimat seiner Eltern debütieren zu dürfen - doch daraus wurde nichts. Der 28-Jährige wurde vor dem Spiel gegen Montenegro aus dem Kader von Nationaltrainer Vincenzo Montella gestrichen.
Offiziell gab der türkische Verband "technische Gründe" für das Fehlen Karazors an, aber: In den türkischen Medien, unter anderem der renommierten Sportzeitschrift Hürryiet (zur Berichterstattung), rückte im Rahmen der Nominierung auch der Ibiza-Fall von Atakan Karazor in den Fokus. Nach unseren Informationen hat der türkische Fußballverband die Wucht der Entrüstungswelle unterschätzt - und Karazor daher aus dem Kader genommen.
"Vergewaltiger", eine "Schande": Heftige Kritik an Atakan Karazor in der Türkei
Hintergrund: Gegen den 28-Jährigen läuft in Spanien ein Strafverfahren wegen sexueller Nötigung an einer jungen Frau. Diese bezichtigte Karazor im Juni 2022 auf Ibiza der Vergewaltigung. Inzwischen ermittelt die spanische Justiz „nur“ noch wegen sexueller Nötigung. Da der Fall noch nicht abgeschlossen ist und es noch mehrere Jahre dauern könnte, bis es zu einer Entscheidung kommt, ist die Schuld des VfB-Profis weiter ungeklärt.
In den türkischen Medien wurde daher über die Nominierung Karazors diskutiert und gestritten, in den sozialen Medien wurde der VfB-Kapitän mit Sätzen wie „Ein Vergewaltiger hat in der Nationalmannschaft keinen Platz“ oder „Du bist eine Schande“ attackiert. Für viele Fans steht Atakan Karazor symbolisch für die immer weiter zunehmende Gewalt an Frauen in der Türkei. Ein Profi, der womöglich ein Sexualstraftäter ist, soll in der Nationalmannschaft spielen? Ein absolutes Unding für viele türkische Fans, die es als absolute Ehre empfinden, für die Türkei auflaufen zu dürfen.
Druck ist zu groß: Präsident des türkischen Fußballverbandes gibt Statement ab
Der Großteil der Fans verurteilt den türkischen Fußballverband (TFF) dafür, Karazor überhaupt nominiert zu haben. Der Druck auf den TFF wurde mutmaßlich so groß, dass der VfB-Profi kurzerhand aus dem Kader für das Montenegro-Spiel gestrichen wurde. Ceyhun Kazancı, der stellvertretende TFF-Präsident, sah sich sogar genötigt, vor TV-Kameras ein öffentliches Statement abzugeben: „Jeder Einzelne ist unschuldig, bis seine Schuld bewiesen ist. Wir glauben, dass Atakan unschuldig ist.“
An dem Shitstorm, den Atakan Karazor aktuell erlebt, änderte das Statement aber nichts. Unter einem X-Post des türkischen Fußballverbands vom 13. Oktober, in dem Karazor zum Geburtstag gratuliert wurde, häufen sich die Hass-Kommentare. Eine Userin schreibt etwa: „Während herzzerreißende Nachrichten über Vergewaltigungen von Frauen, Kindern und Tieren in unserem Land immer auf unserer Tagesordnung stehen […]. Wie können sie mit dieser Person Spaß haben und „Alles Gute zum Geburtstag“ sagen? Es ist eine Schande für sie alle.“
Spannende Frage in der Türkei: Spielt Atakan Karazor gegen Island?
Offenbar hat der türkische Fußballverband unterschätzt, mit welcher Wucht ihn der Fall Karazor erwischen wird. Und ob die Bosse überhaupt von dem Strafverfahren gewusst haben, erscheint ebenfalls fraglich. Am Montagabend (14.10.) spielt die Türkei am 4. Spieltag der Nations League in Island. Bis jetzt ist nicht klar, ob Atakan Karazor im Kader stehen wird oder nicht. Fakt ist nur: Der Druck auf den TFF ist weiter groß. Fans wie Medien fordern, dass der VfB-Profi nicht spielen darf, ehe geklärt ist, ob er schuldig ist oder nicht.
Es erscheint daher eher unwahrscheinlich, dass der VfB-Kapitän in Reykjavik auf dem Platz steht. Allerdings spielt die Türkei auswärts, das könnte die Entscheidung etwas erleichtern. Eine mögliche Einwechslung Karazors dürfte daher kaum Reaktionen auf den Rängen auslösen. Zudem könnte der TFF Nägel mit Köpfen machen und den VfB-Profi durch einen Pflichtspieleinsatz endgültig an die Türkei binden.
Sollten die Verbandsbosse aufgrund des Drucks aber weiter auf Karazor verzichtet, dürfte sich der erste Einsatz für die türkische Nationalmannschaft noch lange hinziehen. Denn glaubt man Kristin Fieber, einer Expertin für spanisches Strafrecht, könnte sich das Verfahren noch jahrelang ziehen. Das Spiel der türkischen Nationalmannschaft auf Island darf also mit Spannung erwartet werden.