Kommentar zur Lage beim VfB: Warum die Schwaben eine Riesenchance verpasst haben
Als der 1. FC Köln zum letzten Mal beim VfB Stuttgart zu Gast war, ging das Duell in die Geschichtsbücher ein. Den Schwaben gelang in letzter Sekunde der Klassenerhalt. Dabei hätte jener 14. Mai 2022 zur Kraftquelle für eine neue Entwicklung werden können. Neun Monate später aber ist die Euphorie rund um den Klub verflogen. Der VfB hat eine Riesenchance verpasst, kommentiert unser Reporter Danny Galm.
Als aus Kapitän Endo „Legendo“ wurde
92. Minute. Noch ein letzter Eckball für den VfB, noch eine letzte Chance auf die direkte Rettung. Alle Spieler inklusive VfB-Keeper Florian Müller sind im Strafraum des FC. „Das ganze Fleisch liegt auf dem Grill“, formulierte Sky-Reporterschlachtross Wolff Fuss die Ouvertüre zu jenem historischen Moment, der aus VfB-Kapitän Wataru Endo den „Legendo“ werden ließ. Der Rest ist Geschichte. Bilder für die Ewigkeit. Tor, Jubel, Platzsturm. Ein Meer aus Weiß und Rot.
Der Kopfballtreffer des Japaners in der Nachspielzeit des letzten Spieltags hätte zum Startpunkt für etwas Neues werden können. Etwas Größeres, eine neue, positive Entwicklung einleiten können, die den VfB nach den wilden 2010er Jahren wieder aufs richtige Gleis setzt. Aber der Klub hat diese vermutlich einmalige Kraftquelle nicht genutzt. Und damit eine Riesenchance verpasst.
Strukturelle VfB-Probleme wurden nicht gelöst
Warum? Weil die strukturellen Probleme der Mannschaft (Baustelle Matarazzo), des Kaders (Baustelle Mislintat), der AG (Baustelle Wehrle) und des Vereins (Baustelle Vogt) nicht gelöst wurden. Und so entwickelte sich der emotionale Boost letztlich zum Rohrkrepierer.
Hätte man an jenem 14. Mai 2022 um kurz nach halb sechs die Zeit angehalten und einem Fan von einem Zeitreisenden erklären lassen, dass sein Herzensverein neun Monate später immer noch im Abstiegsschlamassel steckt, Trainer Pellegrino Matarazzo und Sportdirektor Sven Mislintat Geschichte sind und dafür der alte Recke Bruno Labbadia wieder in der Verantwortung steht – man hätte denjenigen für verrückt erklärt. Und ihm das Hofbräu aus der Hand genommen.
Die Energie im Stadion an diesem Nachmittag war greifbar, selbst die bruddeligsten Haupttribünen-Bruddler gingen beseelt nach Hause. Und waren stolz auf „ihren VfB“. Aufbruchstimmung lag in der Luft. Wenn der 1. FC Köln am Samstagnachmittag (18. 2.) aber zum ersten Mal nach diesem aus VfB-Sicht historischen Tag nach Bad Cannstatt kommt, ist davon nichts mehr zu spüren.
Wucht der Last-Minute-Rettung konnte nicht kanalisiert werden
Die vereinspolitischen Streitereien und Grabenkämpfe, das Theater um die gescheiterten Vertragsgespräche mit Mislintat, die Entlassung von Sympathieträger Matarazzo, dazu diverse Kommunikationspannen und eine verunsicherte Mannschaft, die auch unter dem dritten Trainer in dieser Spielzeit nicht in Tritt kommt: All diese – teilweise hausgemachten - Turbulenzen haben dem VfB jegliche positive Energie geraubt. Die Wucht der Last-Minute-Rettung konnte nicht kanalisiert werden, wie es zum Beispiel Eintracht Frankfurt oder auch dem 1. FC Köln in der jüngeren Vergangenheit gelungen ist.
Dabei darf nicht vergessen werden, dass die sportliche Situation am 14. Mai 2022 ebenso bescheiden war wie die aktuelle Lage. Andernfalls hätte es einen solchen Kraftakt für den Klassenerhalt überhaupt nicht benötigt. Am 31. Spieltag hatte sich das Team nach einem desolaten Auftritt bei Hertha BSC Berlin (0:2) noch wüsten Beschimpfungen aus der Kurve aussetzen müssen. Als letzte Hoffnung auf den Ligaverbleib erschien damals nur noch die Relegation.
Labbadia will die Bilder wieder hervorholen
Stimmungstechnisch bewegt sich der schwäbische Anhang aktuell auf diesem Niveau – mit der Tendenz zum Kipppunkt. Die vergangenen Heimauftritte gegen Mainz (1:1) und Bremen (0:2) hinterließen einen Großteil der Zuschauer ratlos, manch einen sogar hoffnungslos.
Das Erlöser-Tor von Endo hat Bruno Labbadia seinerzeit von der Couch aus verfolgt. Am Samstagnachmittag wird der 57-Jährige nicht die Konferenz im Fernsehen schauen. Labbadia steht an der Seitenlinie - und mit seiner Mannschaft immer mehr unter Druck. Um die Wende einzuleiten, will er die Bilder vom 14. Mai in die Köpfe seiner Spieler bringen: „Das Stadion ist damals explodiert. Die Mannschaft kennt das Bild mit dem Platzsturm, wir haben es ihnen gezeigt. Wir müssen diese positive Energie wieder auf den Platz bringen.“
Jetzt also der zweite Versuch, einen Erfolg gegen Köln in einen langfristigen positiven Trend zu überführen. Man darf gespannt sein.