Rekord-Transfersommer beim VfB? Wie die Schwaben den nächsten Umbruch managen
Der Kader des VfB Stuttgart wird auch in diesem Sommer ordentlich durcheinandergewirbelt. In Panik verfällt deshalb aber kein Verantwortlicher. Schließlich war das nach dem Gewinn der Vize-Meisterschaft mehr oder weniger erwartbar. Und schon im Vorjahr mussten die Abgänge von Leistungsträgern inklusive des Kapitäns kompensiert werden. Vielmehr gibt man sich kämpferisch, ein bisschen trotzig und Geld will man auch in die Hand nehmen. Und das nicht zu knapp. Das alles managen die Schwaben mit einer verblüffenden Ruhe. Eine Bestandsaufnahme.
In den Tagen vor dem Vorbereitungsstart stehen beim VfB stolze 35 Spieler unter Vertrag. Darunter sind einige sichere Abgangskandidaten (Anton, Guirassy), aber auch Leihspieler ohne Zukunft am Wasen (Gil Dias, Ömer Beyaz, Luca Pfeiffer und Co.). Dazu kommt die komplizierte Personalie Deniz Undav. Den wollen Fans und Verantwortliche auch künftig im Trikot mit dem roten Brustring auflaufen sehen. Der Spieler selbst sieht seine Zukunft auch eher am Neckar als auf der Insel. Die Verhandlungen mit dem Premiere-League-Klub Brighton & Hove Albion gestalten sich dennoch zäh (Details zu diesem mitunter wirren Wechsel-Poker gibt es hier).
Wird Deniz Undav zum teuersten Einkauf der VfB-Historie?
Fest steht lediglich: Soll Undav weiter für den VfB stürmen, wird das eine teure Angelegenheit. Rechnet man Ablöse, Handgelder, Gehälter für einen mehrjährigen Vertrag ein, kann das Undav-Paket schnell in im Stuttgarter Talkessel bislang unbekannte Weiten vordringen. Von bis zu 50 Millionen Euro ist die Rede – nicht nur für schwäbische Verhältnisse eine fast schon unverschämte Dimension. Damit wäre der Nationalstürmer der mit Abstand teuerste VfB-Einkauf in der Klubgeschichte.
Welche Spieler der VfB bereits verpflichtet hat
Auch deshalb will der frisch beförderte Sportvorstand Fabian Wohlgemuth nichts überstürzen. Zumal er in dieser Transferperiode schon einiges investiert hat – was in all dem Trubel um Anton, Undav und Guirassy fast schon untergeht. Ein geräuschloser Kaderumbruch, sozusagen. Ohne Allüren orchestriert vom stets unaufgeregten Wohlgemuth: Jeff Chabot (1. FC Köln/vier Millionen Euro), Stefan Drljača (Dynamo Dresden/ablösefrei) und Ramon Hendriks (Feyenoord Rotterdam/eine Million) sowie die Festverpflichtungen von Jamie Leweling (fünf Millionen), Anthony Rouault (drei Millionen) und Leonidas Stergiou (zwei Millionen) stehen bereits zu Buche. Dazu noch die Leihen von Fabian Rieder (Stade Rennes) und Frans Krätzig (FC Bayern).
Und: Ein Abwehrspieler soll noch dazu kommen. Für etwa zehn Millionen Euro soll der noch zu findende Neuzugang die Anton-Lücke schließen. Zudem sollen die Schwaben an Ermedin Demirovic vom FC Augsburg interessiert sein. Kostenpunkt: 15 bis 20 Millionen Euro. Auch hier wartet auf Wohlgemuth noch ein interessantes Pokerspiel.
Auf der Einnahmenseite finden sich derweil ebenfalls ein paar stolze Sümmchen: Waldemar Anton wird den VfB für 23,5 Millionen Euro in Richtung Dortmund verlassen, Hiroki Ito ist für 25 Millionen zum FC Bayern gewechselt und Top-Stürmer Serhou Guirassy, den es ebenfalls zum BVB zieht, wird weitere 18 Millionen Euro in die VfB-Kassen spülen. Macht Summa summarum 66,5 Millionen Euro an Einnahmen! Wobei Achtung: Wie überall ist das Nettoergebnis entscheidend. Und für Transfers gilt die Faustregel: Ein Drittel einer Transfer-Summe geht nicht an den Verein, sondern fließt in andere Taschen. Für Weiterverkaufsbeteiligungen, Beraterhonorare, Ausbildungs-Entschädigungen, den Restbuchwert.
Unter dem Strich hat Wohlgemuth seinen Transferüberschuss für diesen Sommer – rund 35 Millionen Euro waren gefordert – bereits erfüllt. Und noch ist das Wechselfenster ja nicht zu. Auch Chris Führich könnte in dieser Transferperiode noch wechseln – Ausstiegsklausel 26 Millionen Euro. „Stars weg, Kohle da!“, schlagzeilte daher die Bild-Zeitung Anfang der Woche.
Für eine Bilanz ist es in jedem Fall noch zu früh. Dennoch zeichnet sich ab, dass der VfB mit Blick auf die Wechsel-Umsätze einen Rekord-Transfersommer erleben dürfte. Rund 15 Millionen Euro haben die Planer bereits in die Mannschaft gesteckt. Kommen noch Ersatz für Anton sowie Guirassy und entscheiden sich die VfB-Planer für das kostspielige Undav-Paket, wäre das eine historische Transfer-Offensive. Die würde man durch Transfererlöse, der Rückkehr in die Champions-League und die steigenden TV-Einnahmen finanzieren.
Das Spannungsfeld beim VfB: Kaufmännische Vernunft vs. sportliche Notwendigkeiten
Perspektivisch soll auch die modernisierte MHP-Arena zum weiteren Wachstum beitragen. Dort eilt derzeit der sportliche Erfolg der Entwicklung des Gesamtvereins voraus. Dementsprechend kompliziert sind die mittelfristigen Planungen: Wie stabilisiert man einen Traditionsverein wieder im vorderen Tabellendrittel ohne das finanzielle Gleichgewicht zu verlieren bzw. das Gehaltsgefüge im Team zu sprengen?
Kaufmännische Vernunft vs. sportliche Notwendigkeiten: Dieses Spannungsfeld muss Fabian Wohlgemuth austarieren. Ein Balanceakt. Immerhin: Wohlgemuth hat nichts anderes erwartet. „Eine herausragende Spielzeit macht uns noch lange nicht zu einem Big Player“, meinte er unlängst. Mit Blick auf die wirtschaftliche Schlagkraft anderer Klubs können die Stuttgarter nach den kargen 2010er Jahren noch lange nicht mithalten. Weshalb die Schwaben bis auf Weiteres im Hamsterrad gefangen bleiben: Hat das Team gute Spieler in seinen Reihen und/oder performt das Kollektiv, drohen im darauffolgenden Sommer Abgänge. Das sind die Fliehkräfte der Fußballbranche. Große Fische fressen kleine Fische.
Warum sich VfB-Sportchef Wohlgemuth nicht aus der Ruhe bringen lässt
Paradebeispiel: Gleich dreimal hat der VfB in der Spielzeit 23/24 dem BVB auf beeindruckende Art und Weise die sportlichen Grenzen aufgezeigt. Zweimal in der Liga, einmal im DFB-Pokal. Die VfB-Leistungsträger Anton und Guirassy sehen ihre Zukunft dennoch bei den Schwarz-Gelben. Ein gewichtiger Grund: Wirtschaftlich spielen die Borussen in einer anderen Liga. Und um in diese Bereiche vorzustoßen, benötigt es nicht nur eine erfolgreiche Saison. Sondern mehrere. Erst dann kann sich ein Fundament herausbilden, um die Großen der Liga auch auf Dauer zu ärgern.
Bis das so weit ist, muss in jedem Transfer-Sommer um fußballerische Führungskräfte gebangt werden. Aber davon lässt sich Wohlgemuth nicht aus der Ruhe bringen. Dazu ist er viel zu lange schon im Geschäft. Und er weiß genau: Auch ohne Anton, Guirassy und Ito wird man in der neuen Saison eine spannende Mannschaft ins Rennen schicken. Das hat ja schließlich auch nach den Abgängen von Sosa, Mavropanos und Endo ganz ordentlich funktioniert.
Der aktuelle VfB-Kader - Stand: 02. Juli 2024
Tor: Alexander Nübel, Fabian Bredlow, Dennis Seimen, Stefan Drljaca
Abwehr: Pascal Stenzel, Leonidas Stergiou, Anthony Rouault, Ramon Hendriks, Waldemar Anton, Jeff Chabot, Dan-Axel Zagadou, Maximilian Mittelstädt, Josha Vagnoman, Frans Krätzig
Mittelfeld: Atakan Karazor, Yannik Keitel, Nikolas Nartey, Angelo Stiller, Fabian Rieder, Chris Führich, Enzo Millot, Woo-yeong Jeong, Jamie Leweling, Ömer Beyaz
Angriff: Silas, Serhou Guirassy, Deniz Undav, Nick Woltemade, Justin Diehl, Gil Dias, Wahid Faghir, Mohammed Sankoh, Luca Pfeiffer, Thomas Kastanaras