VfB Stuttgart

VfB-Coach Sebastian Hoeneß, CL-Sieger PSG und der Blick in die Taktik-Glaskugel

Fußball VfB Stuttgart vs. Paris St. Germain
PSG-Trainer Luis Enrique (li.) und VfB-Coach Sebastian Hoeneß nach dem direkten Duell zum Abschluss der Liga-Phase. Paris siegt in Cannstatt klar mit 4:1. © Julia Rahn

Stuttgart/München. Ein Sieg mit fünf Toren Unterschied in einem Finale der Champions League hat es bis zum Samstagabend (31.05.) noch nicht gegeben. Das 5:0 von Paris Saint-Germain über Inter Mailand hat Maßstäbe gesetzt. Es war eine Machtdemonstration – und womöglich auch ein Blick in die nahe Zukunft der Fußball-Taktik. Ein Hauch von Revolution wehte durch die Münchner Allianz Arena. Was der Spanier Luis Enrique mit der millionenschweren Truppe aus der französischen Hauptstadt zur Aufführung brachte, dürfte Trainer auf der ganzen Welt inspirieren. So auch Sebastian Hoeneß vom VfB Stuttgart, der schon vor dem historischen Königsklassen-Abschluss ins Schwärmen geraten ist.

„Sie wirken auf mich wie die perfekte Mannschaft“, hatte Hoeneß schon vor dem DFB-Pokalfinale seiner Mannschaft in einem überaus interessanten Interview mit der Süddeutschen Zeitung gesagt. Der 42-jährige Fußballlehrer coachte in der abgelaufenen Runde mit seiner Auswahl seine erste Königsklassen-Spielzeit. Und holte aus den acht Spielen der Liga-Phase achtbare zehn Punkte. „Wir haben gegen Real gespielt, gegen Juventus, gegen Bergamo, aber PSG war mit Abstand die beste Mannschaft. Mit Abstand!“, so Hoeneß, der sonst in der Öffentlichkeit höchst selten zu einem solchen Lob ansetzt.

Was hat VfB-Coach Hoeneß am PSG-Ansatz so dermaßen begeistert?

Was aber hat den Stuttgarter Cheftrainer am Pariser Ansatz so dermaßen begeistert? Schon vor dem Aufeinandertreffen der Schwaben mit den Franzosen zum Abschluss der Liga-Phase Ende Januar hatten Hoeneß und sein Trainerteam befürchtet, „dass das eine ziemlich gute Mannschaft sein könnte“. Leider seien diese Befürchtungen noch „übertroffen“ worden: Mit 4:1 fegte PSG die Schwaben aus der heimischen MHP-Arena. In Anbetracht der historischen Finalschmach von Inter Mailand fast schon ein gnädiger Spielausgang. Aber schon da war ersichtlich: Mit der divenhaften Star-Ansammlung vergangener Jahre hat dieses Paris nichts mehr gemein. Vielmehr wirkte das Ensemble perfekt aufeinander abgestimmt – und wie sich jetzt in der Rückschau auch mit Gewissheit sagen lässt: titelreif.

Im Nachgang an das Ausscheiden stieg Hoeneß in die Tiefenrecherche ein. Er und sein Staff wollten wissen, was das Enrique-PSG so fulminant spielstark macht. „Und was ich gehört habe, hat bestätigt, was ich auf dem Platz gesehen habe: Das ist eine heiße, hungrige Mannschaft mit einem sehr, sehr guten Spirit“, sagte Hoeneß der SZ. Ganz konkret: die Fähigkeit, unterschiedliche Ansätze perfekt zu kombinieren. „Einerseits haben sie extreme Spielkontrolle durch den spanischen Ansatz von Trainer Luis Enrique, andererseits ein hohes Tempo und eine hohe Intensität. Gegen uns sind sogar die Topstars vorn angelaufen. Das hat man von PSG in den Jahren zuvor nicht so gesehen.“

Spielt PSG also heute schon den Fußball von morgen? War der Finalabend von München ein Blick in die taktische Glaskugel? Das wird die nahe Zukunft zeigen. In jedem Fall scheint der Trend wieder hin zu mehr Spektakel und Flexibilität zu gehen. Das zeigten auch eindrucksvoll die Halbfinalspiele der diesjährigen Königsklasse. Es wird pragmatischer im Weltfußball. Zwar gibt es auch weiterhin Trainer mit einer klaren Spielidee, aber diese ist längst nicht mehr so dogmatisch wie in der Hochzeit des Ballbesitzspiels von Pep Guardiola oder der Gegenpressing-Maschinen à la Jürgen Klopp. Sebastian Hoeneß dazu: „Aktuell geht es aber eher um die Frage: Was braucht unser Spiel heute, gegen diesen oder jenen Gegner?“

Schon von Atalanta Bergamo konnte der VfB einiges lernen

Von den Besten lernen hat Hoeneß dabei schon im Lauf der Runde beherzigt. Bereits nach der Heimniederlage gegen Atalanta Bergamo (0:2) hatte Hoeneß vom gegnerischen Fußball in höchsten Tönen gesprochen. „Wie hart, konsequent und diszipliniert sie in der Manndeckung verteidigen, da kannst du viel mitnehmen“, sagte Hoeneß im November, „und wie die Mannschaft als Mannschaft arbeitet.“ Gasperini habe das Team „über Jahre geformt und entsprechende Werte in die Mannschaft gegeben“.

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Auch die PSG-Herangehensweise sei „auf jeden Fall eine Inspiration“, so Hoeneß gegenüber der SZ. Daran könne man sich – auf niedrigerer Flamme natürlich – „schon auch orientieren. Das ist hochwertiger Fußball, aber gespielt von einer intakten Gruppe, die auf jeder Position das absolute Commitment für die gemeinsame Idee ausstrahlt.“ Genau das sei ihm auch beim VfB wichtig: „Wenn die Mannschaft über allem steht und alle denselben gemeinsamen Plan verfolgen, dann kannst du auch von einem Ousmane Dembélé verlangen, dass er rennt und sich ins Team einbringt. Ich bin überzeugt, dass diese Logik für alle Mannschaften gilt.“

Hoeneß und die Kleinigkeiten: „Das klingt im Detail nicht entscheidend, aber ...“

In der kommenden Spielzeit darf Hoeneß all seine Erfahrungen nun erneut auf der internationalen Bühne umsetzen - wenn auch „nur“ in der Europa League . Dabei will er als Trainer reifen. Und dabei geht es nicht immer nur um die großen Linien. Vielmehr habe er durch die abgelaufene Runde „viele Kleinigkeiten, die die Öffentlichkeit gar nicht so mitbekommt“ gelernt. Beispielsweise: Wann reist der Tross zu einem Champions-League-Auswärtsspiel? Wird nach einem Spiel in Madrid oder Turin noch einmal auswärts trainiert oder gleich zurückgeflogen? Für derlei Kleinigkeiten habe man „ein besseres Gespür“ bekommen. „Das klingt im Detail nicht entscheidend“, so Hoeneß, „aber in Summe sind das viele wichtige Prozesse, die man ausprobieren muss“.

Ebenso der mentale Aspekt, also die Tatsache, dass ein Großteil seiner Spieler zum ersten Mal überhaupt auf der größten Bühne im Klubfußball ran durfte. Wie schafft man den Spagat zwischen der glitzernden Königsklasse am Mittwochabend und dem Alltagsgeschäft in der Liga am Wochenende? „Das sind Erfahrungen, die man nicht trainieren kann, die muss man einfach machen“, sagt Hoeneß. Er ist daher überzeugt, „dass wir das beim nächsten Mal noch besser kanalisieren können“.

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