VfB Stuttgart

VfB gegen Tel Aviv: So lief der nicht alltägliche Fußballabend in Stuttgart

Fußball  VfB Stuttgart vs. Maccabi Tel Aviv
Strenge Kontrollen, lange Schlangen: Schon vor dem Stadion spürte man die außergewöhnliche Sicherheitslage. © Hansjürgen Britsch

Stuttgart. Es war ein Abend, der eigentlich nur ein Fußballspiel sein sollte – und doch von allem erzählt hat, was die Gegenwart gerade so unruhig macht. Schon Stunden vor dem Anpfiff wurde klar, dass dieser Europa-League-Spieltag kein gewöhnlicher werden würde: Polizei an jeder Ecke, ein Hubschrauber über der Stadt, Banner, Graffiti, strenge Kontrollen. Und mittendrin ein VfB Stuttgart, der später zwar klar mit 4:1 gewinnt, aber an einem Tag spielt, an dem das Ergebnis nur die Fußnote ist. Dies ist die Geschichte eines Spiels, das längst begonnen hatte, bevor der Ball rollte.

Dass der VfB mit diesem Pflichtsieg einen wichtigen Schritt Richtung Achtelfinale macht, ist schnell erzählt: Assignon in der 24., Tiago Tomás in der 37., Mittelstädt per Handelfmeter in der 50., und zum Schluss, an seinem 25. Geburtstag, Josha Vagnoman in der Nachspielzeit. Dazwischen ein Gegentor, bei dem Torhüter Alexander Nübel nicht gut aussieht, und ein Gegner, der in der Europa League noch sieglos ist und an diesem Abend auch nie so aussieht, als wollte er das ändern.

VfB gegen Tel Aviv: Eines der unwirklichsten Spiele dieses Jahres

Trainer Sebastian Hoeneß nennt das 4:1 später „absolut in Ordnung“. Man habe „den Haken gemacht“, Playoffs sicher, Top acht im Blick. Es sind nüchterne Sätze, und sie passen zu einem Spiel, das vor 57.000 Zuschauern stattfand – und doch eines der unwirklichsten Spiele dieses Jahres war. Für uns Reporter, sonst selten zu überraschen, begann der Abend mit einem Novum: Keine Taschen erlaubt, Laptops nur in durchsichtigen Plastikhüllen – Stuttgart hatte das so noch nicht gesehen. Dazu Ausweis-Check, Akkreditierungskontrollen, Metalldetektoren. Es war ein Einlass wie an einem Flughafen.

Draußen bildeten sich geduldige Schlangen, schon 45 Minuten vor Öffnung waren die ersten Fans da. Andere ließen ihre Tickets ungenutzt – frühe Anstoßzeit, ein Werktag, die Bahnsperrung zwischen Fellbach und Bad Cannstatt, und dazu die angespannte Lage. Bad Cannstatt war früh voll, aber nicht so voll wie sonst.

Der Sicherheitsaufwand war gewaltig und sichtbar: schwer bewaffnete Beamte, berittene Einheiten, Straßensperrungen, Konvois. Über allem: das ununterbrochene Knattern des Polizeihubschraubers, der den ganzen Tag über der Stadt hing. Man fühlte sich nie wirklich bedroht – aber mulmig war es doch. Ein Abend, der unter Strom stand, aber friedlich blieb.

Auch im Stadion kein Alltag

Im Stadion selbst gab es nur alkoholfreie Getränke und keinen Imbiss – eine Grundversorgung, mehr nicht. Gerüchte kursierten, wonach zahlreiche Kiosk-Mitarbeiter am Sicherheits-Screening gescheitert seien; bestätigen ließ sich das am Abend nicht. Oder war es am Ende eine Zoll-Kontrolle beim Caterer „Aramark“, die einige nicht-angemeldete Angestellte ans Licht brachte? Es passte in jedem Fall zur Gesamtszenerie eines Abends, der selbst im Kleinen anders funktionierte als gewohnt.

Kurz vor dem Anpfiff war die Stimmung dennoch groß. Zwar fehlten mehrere Ultra-Gruppen, die aufgrund der Sicherheitsvorgaben auf ihren Support verzichteten; aber das Stadion war gut gefüllt, die Atmosphäre warm, aber nicht so wuchtig wie sonst. Ein leiserer, kontrollierterer Support – überlagert vom Rotorengeräusch, das wie ein eigener Soundtrack über dem Stadion lag. „Über weite Strecken war es eine herausragende Stimmung im Stadion - und deshalb nicht großartig anders als sonst“, sagte Trainer Sebastian Hoeneß, der zusammen mit der Mannschaft die massiven Sicherheitsvorkehrungen nur am Rande mitbekam: „Für uns ging es darum, so viel Normalität wie möglich zu haben.“

Und die Fans aus Tel Aviv? Vielleicht am eindrücklichsten war die Präzision, mit der die Polizei den Transport der Maccabi-Fans organisierte. Unsere Kollegen begleiteten einen der Shuttle-Busse. Notfallhämmer ausgebaut, Polizei an jeder Abzweigung, die Fahrt über verschlungene Nebenwege. Eine Strecke, die sonst zehn Minuten dauert, brauchte 45. Im Bus wurde gesungen, gelacht – und mit einem Satz, der viel über diesen Abend sagt, auf die Frage geantwortet, ob man an einen Sieg glaube: „Alles unter 5:0 wäre super.“

Am Fantreffpunkt im Schlossgarten wiederum ein fast surreal friedliches Bild. Die Polizei stand Spalier, zurückhaltend, sichtbar, aber nicht laut. Ob in den Fangesängen politische Untertöne steckten, ließ sich schwer beurteilen, doch die Grundstimmung war ausgelassen, nicht feindselig.

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Feier trotz allem: Im Schlossgarten treffen sich die Maccabi-Fans friedlich, singen, lachen – und erinnern zugleich an die eigene Geschichte in einer zerrissenen Welt. © Benjamin Büttner

Ein junger Mann schwenkte ein Tuch mit dem Bild eines Freundes, gefallen im Krieg, 19 Jahre alt. Es war ein Moment, der zeigte, dass ein Teil dieser Menge aus einer Welt kommt, die zerrissen ist. Ein Fußballspiel überblendet vieles, aber nicht alles.

So fällt das erste Zwischenfazit der Polizei aus

Die Polizei meldete am Abend einen „weitgehend störungsfreien“ Verlauf. Aber es gab Pyrotechnik in einem Biergarten – Anzeige. Und in der Stadt Banner an einem israelischen Reisebüro: „Nach Palästina umgesiedelt“, „Ab sofort geschlossen“. Außerdem „Free Gaza“-Graffiti an mehreren Häusern. Ermittlungen wegen Volksverhetzung und Sachbeschädigung laufen.

Und am Ende? Bleibt der Eindruck eines Abends, an dem ein riesiger Aufwand betrieben wurde – und am Ende fast nichts passierte. Und das ist, in diesem speziellen Fall, ein gutes Nichts. Ein Abend, an dem der Fußball den Rahmen vorgab, aber nicht die Geschichte. Ein Abend, der angespannt begann, ruhig verlief und sportlich eindeutig endete. Ein Abend, der zeigt, wie zerklüftet die Welt gerade ist – und wie wertvoll es ist, wenn ein 4:1 einfach ein 4:1 bleibt.

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