VfB-Stratege Chema Andres: Auf den Spuren von Sergio Busquets und Xabi Alonso
Stuttgart. Es gibt diese seltenen Debüts, bei denen man sofort spürt: Hier läuft einer nicht bloß mit, hier will einer den Takt vorgeben. Chema Andrés ist so ein Fall. Vor wenigen Wochen noch ein vielversprechender Youngster aus dem Nachwuchs von Real Madrid, hat der 20-jährige Spanier beim VfB Stuttgart in Windeseile den Weg vom Talent zum Taktgeber gefunden – und dabei gleich den Kapitän verdrängt. Beim 2:0 gegen St. Pauli stand er erstmals in der Bundesliga-Startelf, beim Europa-League-Auftakt gegen Celta Vigo (Donnerstag, 21 Uhr/RTL) könnte er nun erneut von Beginn an das Zentrum besetzen.
Normalerweise ist das Hoheitsgebiet vor der Abwehr fest für Atakan Karazor reserviert. Stolze 46 Pflichtspiele absolvierte der 28-Jährige in der vergangenen Saison, war Dauerläufer, Zweikämpfer, Anführer. Doch gegen St. Pauli saß der Kapitän 85 Minuten lang auf der Bank. „Wir wollten Impulse geben – die haben wir bekommen“, erklärte Trainer Sebastian Hoeneß danach. Und er lobte Karazors „Top-Reaktion“, der die Kollegen von der Seitenlinie aus antrieb, statt den Unmut zu zeigen.
Das sagt Trainer Sebastian Hoeneß über Chema Andres
Hoeneß hält sich vor dem Duell mit Vigo bedeckt: „Ich werde mich zur Startaufstellung von morgen nicht äußern. Wir haben sehr viele Spiele und müssen auch auf Themen wie die Belastungssteuerung schauen.“ Der Stuttgarter Cheftrainer wird hier aber auch grundsätzlich: „Ob es um den Kapitän geht oder nicht, sollte bei der Entscheidung nicht den riesigen Unterschied machen. Am Ende gilt das Leistungsprinzip. Unabhängig davon, ob Ata die Binde am Arm trägt oder nicht, ist er ein wichtiger Spieler und Ansprechpartner. Das wird auch so bleiben.“
Vier Partien in elf Tagen – das Programm zwingt fast schon zu Rotationen. Doch die Chancen stehen gut, dass Andrés erneut beginnt. „Er hat von Anfang an auf hohem Niveau Leistung gezeigt. Er ist sehr reif, sehr klar. Das hilft ihm, große Formschwankungen zu vermeiden. Und trotzdem soll er die auch haben dürfen“, sagt Hoeneß.
Für Andrés ist der Abend doppelt besonders. Zum einen trifft er auf Celta Vigo – ein Gegner aus seiner Heimat. Zum anderen wartet ein emotionales Spiel, das schon im Sommer-Test hitzig wurde. „Wir sollten darauf eingestellt sein, auf eine sehr emotionale Mannschaft zu treffen“, warnt Hoeneß. Vigo hat in der Liga zuletzt fünfmal 1:1 gespielt, am Wochenende fast komplett die A-Elf geschont – ein klares Signal, wie wichtig den Spaniern der Europa-League-Start ist.
Ein Stil wie Rodri – und doch ganz Chema
Andrés’ Spielweise erklärt, warum er so schnell ins Zentrum des Stuttgarter Plans gerückt ist. 1,90 Meter groß, elegant am Ball, mit präzisem Passspiel und dem Mut für Vertikalpässe – er erinnert nicht zufällig an Spaniens Weltklasse-Sechser Rodri. Im Stadionmagazin vom Freitag nannte er selbst Sergio Busquets und Xabi Alonso als Vorbilder. Und er trägt das Trikot akkurat in die Hose gesteckt, fast altmodisch – ein kleiner, aber sichtbarer Hinweis auf Disziplin.
Seine Auftritte sind selbstbewusst, aber nie respektlos. Er spricht viel auf dem Platz, mal auf Englisch, mal auf Spanisch, mal auf Deutsch, gestikuliert, dirigiert. „Das gibt mir Sicherheit und Ruhe“, sagt er. Dass erfahrene Nebenleute wie Jeff Chabot ihn ausdrücklich ermuntern, sich lautstark einzubringen, hilft zusätzlich. Natürlich leistet er sich auch Fehler: ein Fehlpass gegen St. Pauli, ein verlorenes Duell zu viel. Aber er korrigiert, lernt, sucht den Ball wieder.
Drei Millionen Euro überwies der VfB im Sommer an Real Madrid, sicherte sich eine Kaufoption – und Real eine Rückkaufklausel, angeblich über 13,5 Millionen Euro. Stuttgart hatte Andrés schon bei der U-19-EM 2023 mehrfach beobachten lassen. Seine Mischung aus Technik, Übersicht und Physis passte perfekt zum Stuttgarter Plan, junge Spieler auf das nächste Level zu heben. „Er braucht noch Zeit und die werden wir ihm geben“, sagt Hoeneß. „Aber ich bin mir sicher, dass er seinen Weg gehen wird. Er ist sehr aufgeräumt.“
Dass er sich menschlich schnell eingefunden hat, beschleunigt den Prozess. Der Youngster wohnt inzwischen in Stuttgart, das Bild seines ersten Bundesligators gegen Gladbach soll bald schon gerahmt in der neuen Wohnung hängen. Er selbst bleibt bescheiden, erzählt lieber von verschossenen Elfmetern als von Erfolgen – ein Hinweis darauf, dass er Fehler als Teil des Weges begreift.
Ein Talent im richtigen Umfeld
Der VfB setzt auf junge Spieler und hat damit zuletzt große Erfolge gefeiert. Andrés könnte das nächste große Stück in diesem Puzzle sein. Dass er schon jetzt Karazor ernsthaft Konkurrenz macht, spricht Bände – und zwingt den Kapitän, der sich bislang auf sein Dauer-Abo in der Startelf verlassen konnte, im Idealfall zu neuer Höchstform. Am Donnerstagabend in der MHP-Arena wird sich zeigen, ob Hoeneß erneut auf die jugendliche Souveränität des Spaniers setzt. Viel spricht im Vorfeld des Europa-Auftakts genau dafür.