Warum VfB-Kapitän Atakan Karazor in Istanbul eine neue Chance bekommen dürfte
Istanbul. Für Atakan Karazor ist Istanbul kein Zuhause – aber es ist nah genug, um etwas in ihm anzurühren. Seine Eltern stammen aus der Türkei, er selbst wurde in Essen geboren, in Deutschland aufgewachsen, geprägt von deutschen Nachwuchsleistungszentren, deutschen Trainingsplätzen, deutschem Fußball. Und doch wird dieser Donnerstagabend im Ülker Stadyumu Şükrü Saracoğlu Spor Kompleksi kein gewöhnlicher Arbeitstag für ihn. Der Kapitän des VfB Stuttgart steht vor einem besonderen Spiel – und vielleicht vor einer kleinen Wende.
In den vergangenen Wochen war Karazor aus der Startelf gerutscht, verdrängt vom jungen Spanier Chema Andres. Nun aber, ausgerechnet hier, in der Stadt, in der Fußball eher ein Naturereignis ist als ein Sport, wird er wohl wieder von Beginn an spielen. „Es bietet sich ein Stück weit an, das ist doch klar“, sagte Sebastian Hoeneß – und klang dabei so klar, wie ein Trainer nur klingen kann, wenn er schon entschieden hat.
Atakan Karazor in der Startelf? Ein Fingerzeig vom Podium
Dass Karazor am Tag vor dem Spiel auf dem Podium saß war kein Zufall. Solche Gesten sagen im Fußball oft mehr als eine Aufstellung. Der 28-Jährige, seit 2019 beim VfB, ist mit der doppelten Staatsbürgerschaft ausgestattet und war bereits dreimal für die türkische Nationalmannschaft nominiert – ohne bisher zu debütieren. „Ob ich spiele oder nicht: Es wird ein geiles Spiel“, sagt er diplomatisch. „Es wird etwas Besonderes für mich, was meine Herkunft betrifft.“ Und dann erzählt er, dass er einmal mit der Nationalmannschaft im Stadion von Galatasaray war – „und das war wirklich außergewöhnlich“.
Karazor ist ein Fußballer, der über Rhythmus kommt, über das Gefühl für Räume und Momente. Wenn dieses Gefühl einmal verloren geht, dann ist sein Spiel nicht mehr dasselbe. „Ich fange dann auch sehr gerne bei mir selber an“, sagte er vorab im Gespräch mit dem übertragenden TV-Sender RTL. „Ich muss einfach sagen, dass ich gefühlt außer Form war. Viele wissen ja, dass ich von meiner Intuition komme und meiner Leichtigkeit. Und die Leichtigkeit hat auch irgendwann gefehlt – die versuche ich mir gerade wieder zu erarbeiten.“ Das ist ein seltener Satz in diesem Beruf: kein Schutzargument, kein Verweis auf Umstände – nur die nüchterne Einsicht, dass Fußball manchmal eine Frage des inneren Gleichgewichts ist. Vielleicht ist Istanbul genau der richtige Ort, um es wiederzufinden.
„Wir haben in der Mannschaft schon darüber gesprochen“, sagt Karazor über das, was ihn erwartet. „Bei der Nationalmannschaft habe ich vor zwei Wochen auch den einen oder anderen Fener-Spieler gefragt, was da los sein wird. Und die meinten: Das wird die Hölle.“
Kontrolle, Mut, Beharrlichkeit: Wie der VfB in Istanbul bestehen will
Karazor sagt das nicht ängstlich, sondern neugierig. „Da müssen wir als Team dagegenhalten. Aber auch genießen. Für solche Spiele haben wir letzte Saison den Pokal gewonnen.“ Er fügt hinzu: „Wir werden nichts an unserem Spielstil ändern – egal, in welchem Stadion wir spielen.“ Ein Satz, der fast wie ein Glaubensbekenntnis klingt, so ruhig und trotzig, wie Hoeneß-Fußball gemeint ist: Kontrolle, Mut, Beharrlichkeit.
Karazor war in diesem Jahr bereits dreimal für die türkische Nationalmannschaft nominiert – ohne Einsatz. Einmal verhinderten gesundheitliche Probleme seinen möglichen Einstand. „Ich bleibe geduldig“, sagt er. „Ich verstehe mich mit den Jungs sehr gut. Es ist für mich wichtig, immer wieder dabei zu sein. Es ist eine Riesenehre.“
Hoeneß, sonst eher zurückhaltend, sprach zuletzt offen über sein Mitgefühl. „Ich hätte es Ata sehr gewünscht, dass er sich jetzt auch ganz offiziell Nationalspieler nennen kann“, sagte er. Gleichzeitig betonte er den Respekt vor Nationaltrainer Vincenzo Montella: „Es gibt dort einen Trainer, der diese Entscheidung trifft – das ist überall so.“ In Istanbul wird Karazor nun möglicherweise ausgerechnet gegen İsmail Yüksek spielen – den Fenerbahce-Profi, der im türkischen Mittelfeld seine Position besetzt. Ein direktes Duell, eine Einladung zur Eigenwerbung – nicht laut, aber deutlich.
„Es wird eine schöne Erinnerung werden“
Wenn es für Karazor in Istanbul um etwas geht, dann vielleicht nicht nur um einen Platz in der Startelf. Sondern darum, wieder der Spieler zu sein, der den Rhythmus vorgibt, der Spiele beruhigt, während um ihn alles tobt. „Auch für mich wird es kein Heimspiel“, sagt er. „Aber ein paar Leute aus meiner Familie und meine Freundin sind da. Es wird eine schöne Erinnerung werden.“ Es ist ein Satz, der klingt, als wüsste er schon, dass dieser Abend bleibt – egal, wie das Spiel ausgeht.
Fenerbahce Istanbul - VfB Stuttgart (Donnerstag, 18.45 Uhr/RTL+): So könnten die Teams starten
Fenerbahce Istanbul: Cetin - Nelson Semedo, Söyüncü, Oosterwolde, Mercan - Asensio, Alvarez, Yüksek - Nene, Talisca, Aktürkoglu
VfB Stuttgart: Nübel - Assignon, Jaquez, Chabot, Mittelstädt - Karazor, Stiller - Bouanani, El Khannouss, Nartey - Tiago Tomás
Schiedsrichter: Jakob Kehlet (Dänemark)