Deutschland

Bauernproteste eskalieren weiter: Fünf Beobachtungen zur aktuellen Lage

Kopie von Bauernprotest bauernproteste landwirte demo traktor symbol symbolbild symbolfoto
Symbolfoto. © Gabriel Habermann

Die Bilder der eskalierten Proteste in Biberach und Schorndorf haben sich ins kollektive Gedächtnis eingebrannt. In Brandenburg kam es Anfang März zur nächsten Eskalation. Sind das überhaupt noch Bauernproteste? Oder haben Querdenker und extreme Rechte längst das Ruder übernommen? Die Frage steht schon länger im Raum. Derweil kristallisieren sich neue Aktionsformen heraus. Was unternimmt der Bauernverband? Fünf Beobachtungen zur aktuellen Lage.

Beobachtung 1: Proteste werden brutaler

Blockade der B5 in Brandenburg: "Das hätte Tote geben können"

Am Sonntagabend (03.03.) haben Bauern im brandenburgischen Wustermark Gülle und Mist auf die B5 gekippt. In einem Video des Senders RTL ist neben einem Galgen mit Ampel zu sehen, wie Teile von Baumstämmen bei Dunkelheit auf der Fahrbahn abgeladen werden. Die Hindernisse, die sich laut RBB über mehrere hundert Meter der Bundesstraße erstreckten, wurden mindestens zwei Fahrzeugen zum Verhängnis. Fünf Personen wurden verletzt. Das Abschleppunternehmen, das die Traktoren von der Bundesstraße entfernen sollte, wurde laut Tagesspiegel Ziel eines Shitstorms – samt Drohung, die Firma zu blockieren.

Die Polizei ermittelt wegen gefährlichen Eingriffs in den Straßenverkehr und weiterer Delikte. "Das hätte Tote geben können", kommentierte Journalist Nikolaus Blome später bei RTL: "Tote, weil radikale Bauern auf einer Tempo-100-Bundesstraße nachts Blockaden aus Mist und Gülle bauen, und das für berechtigten Protest halten." 

Protest auch in Potsdam: "Die sind alle kampfbereit, die Trecker"

Parallel dazu gab es auch auf der Glienicker Brücke, die Potsdam mit Berlin verbindet, eine Protestaktion. Unter anderem der Tagesspiegel berichtete darüber. Auch hier ging es um eine stundenlange Blockade mit Traktoren. In einem Ausschnitt aus einem Tiktok-Livestream zeigt ein Mann, wie die Fahrzeuge dafür präpariert wurden. "Seht ihr den da vorne?", fragt er, während die Kamera auf einen Traktor mit einer Art Frontaufsatz zeigt. "Das ist ein Rammbock". Die Trecker seien alle "kampfbereit". Der Mann geht im Video um einen Traktor herum und zeigt das Heck. Es ist mit Metallrohren geschützt. "Leute, wir sind zum kämpfen hierhergekommen, wir gehen nicht weg." 

Beobachtung 2: Proteste sind längst keine reinen „Bauernproteste“ mehr

Konspirativ und gewaltbereit: Bauern und radikale Querdenker vereint

Das kurze Video von der Glienicker Brücke hat ein Berliner unter dem Pseudonym "querdenkenwatch" auf X veröffentlicht. "Und wenn ihr euch fragt, wie radikal die unterwegs sind: Ich habe Stunden an Streams, in denen von Angriffen auf Polizeibeamt*innen mit modifizierten Traktoren und zum Teil Märtyrerfantasien gefaselt wird", schrieb er dazu. Seit Jahren beobachtet der Berliner die Querdenker-Szene, hat unzählige Videos von Protesten gesichtet. Dass er dabei zunehmend Protesten mit Bauernbeteiligung begegnet, kommt nicht von ungefähr. Die Männer, die rund um Berlin blockiert haben, hätten sich bei einer "Mahnwache" mit radikalen Querdenkern vernetzt. "Sie greifen zurück auf ein Netz aus reaktionären Wutbürgern."

Von Beginn an versuchten Querdenker und Rechtsextremisten, die Bauernproteste für sich zu vereinnahmen und zu unterwandern. Das trägt zunehmend Früchte. Die Grenzen zwischen Bauernprotest und Protesten gegen den Staat, an denen sich auch Bauern beteiligen, sind teilweise fließend. Planungen zu den nächtlichen Blockaden vom 3. März liefen laut Tagesspiegel "konspirativ in geschlossenen Chatgruppen bei Telegram und Facebook", der Dresdner Querdenker Marcus Fuchs war offenbar bestens über die Pläne informiert. Das erinnert an die Proteste in Biberach und Schorndorf, wo ebenfalls vorab über Querdenker-Kanäle mobilisiert worden war.

Whatsapp-Gruppen: "Woher wisst ihr denn, wen ihr alles zur Party einladet?"

Auch die Kommunikationskanäle, die Landwirte geschaffen haben, werden längst auch von anderen genutzt. Nach der Eskalation des politischen Aschermittwochs in Biberach im Februar sprachen wir mit der Bundestagsabgeordneten Anja Reinalter, die dort ihren Wahlkreis hat. Wie andere berichtete sie von drei "vollen" Whatsapp-Gruppen, die ursprünglich zur Vernetzung der Landwirte in der Region erstellt worden waren. Zur Einordnung: Eine Whatsapp-Gruppe kann bis zu 1.024 Mitglieder haben. Sie habe die Bauern gefragt: "Woher wisst ihr denn, wen ihr alle zur 'Party' einladet?" – beantworten konnten sie das nicht, sagte sie.

Dazu kommt, dass Teile des Bauernprotests schon lange rechtsoffen waren. Im Bewegungsmelder-Podcast berichtete Journalist Gerhard Königer zuletzt über die Anfänge des Bauernprotests, bei denen schon vor Jahren die Flagge der rechtsextremen Landvolk-Verbindung zu sehen gewesen sei. Königer hatte damals für die Schwäbische Post darüber berichtet. Bei Bauernprotesten im Rems-Murr-Kreis und der Region sprachen zuletzt bekannte Querdenker, AfD-Politiker oder Oliver Hilburger, Ex-Mitglied der Rechtsrockband "Noie Werte", heute Kopf der rechten Pseudo-Gewerkschaft "Zentrum". 

Beobachtung 3: Medienhäuser werden zunehmend zum Ziel

Angriff auf die Pressefreiheit: Traktoren-Blockade vor Druckzentren

Um auf die Bedeutung der Bauern für den heimischen Lebensmittelmarkt hinzuweisen, werden im Rahmen der Proteste immer wieder auch Zentrallager von Discountern blockiert. Mittlerweile scheinen sich die Protestierenden aber noch ein weiteres Ziel gesucht haben: Medien. Das äußerte sich zuletzt in mehreren Blockaden von Druckereien. Anfang Februar traf es die "Nordsee-Zeitung" in Bremerhaven, wie der NDR berichtete, wenige Tage später die Druckerei des Axel-Springer Verlags in Ahrensburg. In Kempten war laut Süddeutsche die Allgäuer Zeitung betroffen. Kommentatoren und der Bayrische Journalistenverband sprachen von Angriffen auf die Pressefreiheit.

Ende Februar wurde dann in Baden-Württemberg ein Druckzentrum in Villingen-Schwenningen blockiert, das unter anderem für den Druck des Schwarzwälder Boten zuständig ist. Das Medienhaus hatte selbst darüber berichtet, dass die Rädelsführer Forderungen stellten: "Als eine Forderung nannten sie die Veröffentlichung eines zweiseitigen Schreibens in der Tageszeitung. Darin forderten sie unter anderem 'eine freie Berichterstattung' und das Heraushalten der Medien aus „aktiver politischer Meinungsbildung." Das Medienhaus lehnte ab, man lasse sich nicht erpressen.

Beobachtung 4: Der Bauernverband hat längst keine Kontrolle mehr

Pia Lamberty: Es fehlt an Strategien gegen rechtsextreme Akteure bei Bauernprotesten

Der Deutsche Bauernverband distanzierte sich von Medienhaus-Blockaden, ebenso wie er nicht müde wird, sich von Rechtsextremismus und Umsturzfantasien, von Eskalation und Gewalt zu distanzieren. Dass die Situation trotzdem weiter eskaliert, zeigt: Der Verband hat längst keine Kontrolle mehr. Es war der Bauernverband, der im Januar zur großen Protestwoche aufrief. Jetzt sind es kleine, regionale Gruppen, die den Ton angeben, und teilweise unabhängig voneinander Proteste organisieren. 

Sozialpsychologin Pia Lamberty von CeMAS (Center für Monitoring, Analyse und Strategie) nannte im tageschau.de-Interview im Januar die andauernden Distanzierungen des Bauernverbands wichtig, wies aber auf zwei Probleme hin: Zum einen, so Lamberty, habe die "recht eskalative Sprache des Verbandes" teilweise dazu beigetragen, dass sich die Proteste von extremistischen Akteuren instrumentalisieren ließen. Zum anderen müssten aus Distanzierungen auch Maßnahmen folgen, mit denen man gegen Vereinnahmungsversuche vorgehen kann. Und Personal vor Ort, das sie umsetzt. "Nur weil man sich wünscht, dass Rechtsextreme nicht da sind, heißt es nicht, dass sie nicht kommen." 

Beobachtung 5: Querdenkern und Rechtsextremisten geht es nicht um die Bauern

"Historisches Zeitfenster": Verfassungsfeinde hoffen auf Eskalation

Rechtsextremisten und Querdenker lehnen den Staat ab. In den Szenen, deren Grenzen an den Rändern schon lange verschwimmen, träumen radikale Verfassungsfeinde vom Umsturz. Die Anliegen der Landwirte, die ursprünglich die Bauernproteste bestimmten, sind nur ein Vehikel, um das umzusetzen. Man hofft stattdessen auf eine Eskalation.

Im Winter träumte man in Querdenker-Kreisen vom Generalstreik. In der Reichsbürger-Szene war von einem "historischen Zeitfenster" die Rede, das sich mit den Protesten des Bauernverbands anbahne. Die Bauern, so die Hoffnung, würden das Land lahmlegen, und der Szene damit bei dem Erreichen der eigenen Ziele helfen. Als Ricarda Lang in Schorndorf von einem wütenden Mob bedrängt wurde, unter übelsten, misogynen Beleidigungen, war bereits Stunden zuvor klar, dass nicht nur Landwirte zum Protest gekommen waren. 

Der Schaden für die Bauern ist am Ende groß, wenn sie sich mit verfassungsfeindlichen Gruppierungen gemein machen. Darauf wies auch Pia Lamberty im tagesschau.de-Interview hin. "Denn dann wird kaum noch über die eigentlichen Inhalte gesprochen, und es besteht die Gefahr, dass sie die Unterstützung von Teilen der Bevölkerung verlieren." Die jüngsten Eskalationen und die Reaktionen darauf zeigen das nur zu deutlich. 

VG WORT Zahlpixel