"Bürgergipfel" in Stuttgart: Rechtes Netzwerk-Treffen in der Liederhalle
Eine ehemalige AfD-Chefin, rechte Medienmacher, ein radikaler Crash-Prophet und ein Netzwerk von Klimawandelleugnern: Das sind nur einige der Akteure, die sich am 7. September in der Liederhalle in Stuttgart zu einem „Bürgergipfel“ versammeln. Laut Veranstalter will man den Ungehörten, Unzufriedenen eine Stimme verleihen – für 150 Euro pro Person. Wer organisiert das? Wer unterstützt das? Wer steht da alles auf der Bühne? Und welche Ziele werden verfolgt? Der Versuch einer Einordnung.
„So geht’s nicht weiter“, heißt es auf der Website der Veranstaltung. Die Veranstalter rechnen sich selbst einem „Wir“ von Bürgern zu, die „seit zwei Jahrzehnten vom Establishment in Politik und Medien“ nicht mehr gehört und repräsentiert würden. Man solle deshalb ein Ticket buchen, am besten gleich einen Kleinbus mieten. 1000 Teilnehmer müssten es werden. Mindestens. „Einfach nur Köpfe von Parteipolitikern in Regierungen auszutauschen, bewirkt erfahrungsgemäß noch gar nichts“, heißt es. Man müsse gemeinsam formulieren, was man inhaltlich wolle, „um den Kurs unseres Landes zu ändern“. In Talk-Runden, Stammtisch- und Hinterzimmergesprächen mit Gleichgesinnten in Stuttgart.
Redner: Petry, Vosgerau & Co. für die „politische, wirtschaftliche und geistige Wende“
Wer hier alles mitmischt und zusammenkommt, das ist schwer in Kürze zusammenzufassen. Zu den Rednern, die laut Veranstalter „eine politische, wirtschaftliche und geistige Wende“ wollen, gehören unter anderem:
- Die ehemalige AfD-Parteivorsitzende Frauke Petry, die 2017 nach einem verlorenen parteiinternen Machtkampf medienwirksam die AfD verließ.
- Der Jurist Ulrich Vosgerau, der Ende 2023 an einem Treffen zwischen AfDlern, Neonazis, Unternehmern und „Werteunion“-Mitgliedern teilnahm, über das „Correctiv“ unter dem Titel „Geheimplan gegen Deutschland“ berichtete.
- Vàclav Klaus, einst tschechischer Ministerpräsident, heute prominenter Klimawandelleugner, der auch schon mehrfach bei der AfD auftrat.
Partner und Sponsoren: Rechte Medien, Kulturkämpfer und Klimawandelleugner
Zu den Partnern der Veranstaltung gehört das neurechte Medium „eigentümlich frei“. Der international tätige Verein „EIKE“, ein Netzwerk von Akteuren, die den menschengemachten Klimawandel leugnen. Die „Free Cities Foundation“, die sich der Gründung von Privatstädten abseits staatlicher Einflüsse verschrieben hat. Ein baden-württembergisches „Bitcoin-Hotel“ ist ebenso vertreten wie der FDP-nahe Verein „Liberaler Mittelstand Baden-Württemberg“.
Zu den Sponsoren gehören beispielsweise die US-amerikanische Kinderbuchreihe „Tuttle-Zwillinge“, deren Schöpfer aus Angst vor dem angeblichen „Woke-Virus“ Kindern seine kruden Ansichten in Form von Geschichten vermittelt. Oder der rechte Radiosender „Kontrafunk“ des Journalisten Burkard Müller-Ulrich, der während der Corona-Krise einen Online-Pranger betrieb. Björn Höcke, Chef der rechtsextremen AfD Thüringen, empfiehlt „Kontrafunk“ ausdrücklich.
Gastgeber: Wer steckt hinter dem „Bürgergipfel“ in Stuttgart
Organisiert wird der Bürgergipfel von „Tichys Einblick“, dem rechtskonservativ- bis rechtspopulistischen Meinungsmedium des Journalisten Roland Tichy, der ebenfalls reden soll. Dem rechtslibertären Medium „Sandwirt“ des Unternehmers Oliver Gorus, dessen Firma sowie der „Atlas-Initiative“ um Markus Krall, die auch schon Akteuren der extremen Rechten eine Plattform bot.
Krall ist auch gleichzeitig der vielleicht auffälligste Redner, der für den „Bürgergipfel“ angekündigt wird. Der rechtslibertäre Autor schreibt seit Jahren apokalyptische Bücher, in denen er in drastischem Tonfall vor dem angeblich bevorstehenden Kollaps des finanziellen, politischen und gesellschaftlichen Systems warnt. Und diesen gleichzeitig als Chance skizziert.
Staat? Nein, danke: Was die Akteure verbindet
Der Soziologe und Publizist Andreas Kemper beobachtet viele der Akteure, die beim „Bürgergipfel“ eine zentrale Rolle spielen sollen, schon lange. Was verbindet sie? „Markus Krall will die Demokratie abbauen, weil er den Sozialstaat abbauen will“, sagt Kemper. So fordert Krall beispielsweise, dass Menschen, die staatliche Hilfen erhalten, nicht wählen dürfen sollen. Mit dem Grundgesetz ist das nicht vereinbar. „Auch die Motivation, Privatstädte zu bauen, fußt darin, den Sozialstaat abzubauen und Steuern für Reiche zu verhindern.“ Man glaube, der Kapitalismus funktioniere am besten, wenn der Staat sich raushalte. Das sei das verbindende Element. Die vertretenen Medien des rechten Spektrums böten Krall und Gleichgesinnten für diese Ideen regelmäßig eine Bühne.
Letztlich bestehe darin auch die Brücke zu der Leugnung des menschengemachten Klimawandels, sagt Kemper – eine weitere zentrale Gemeinsamkeit einiger vertretener Akteure. Um die Folgen des Klimawandels einzuhegen, sei internationale Kooperation zwingend notwendig, so der Experte. „Und das bedeutet ganz viele staatliche Eingriffe. Das ist für diese Leute der Horror, deswegen leugnen sie ihn einfach.“
Markus Krall: Der radikale Crash-Prophet
Markus Krall fällt auch abseits seiner Idee, das allgemeine Wahlrecht abzuschaffen, regelmäßig mit radikalen Aussagen auf: In seinem Buch „Die Stunde Null“ bringt der Autor die Corona-Impfkampagne und ihre angeblich drohenden tödlichen Folgen beispielsweise in Verbindung mit dem Holocaust. Er schreibt von einem möglichen „Zivilisationsbruch, wie wir ihn seit 1945 nicht mehr gesehen haben“. Im Podcast „Krall & Bubeck“ sprach er kürzlich in Bezug auf Kriminalität von „Passdeutschen“.Der Begriff wurde in der Vergangenheit unter anderem von der rechtsextremen NPD genutzt, um Migranten mit deutschem Pass die Volkszugehörigkeit abzusprechen. Auch das ist, wie 2022 in Bezug auf die NPD geurteilt wurde, „mit dem Volksbegriff des Grundgesetzes […] unvereinbar“.
Ob Krall wusste, dass er sich sprachlich bei der NPD bedient? Krall beantwortet unsere Anfrage öffentlich beim Kurznachrichtendienst "X". Dort schreibt er: "Es es mir völlig egal, was die NPD sagt, denn es ist nicht meine Aufgabe, den Sprachduktus einer Partei zu studieren mit der ich nichts zu tun habe und mit der ich auch keine Schnittmengen habe.". Im Gegensatz zur NPD verwende er den Begriff nicht als Ausdruck einer völkischen Vorstellung von Staatsbürgerschaft. Er meine "Personen, die, obwohl eingebürgert, sich einen Dreck um Integration, Leistungsbeitrag oder Gesetzestreue scheren" – und die deshalb aus seiner Sicht "zu Unrecht" eingebürgert wurden. Krall beschwert sich über den angeblichen Versuch, ihn in die rechte Ecke zu drängen, und sieht sich als "Ziel" eines "propagandistischen Rufmordes". Hier finden Sie seine Aussagen in voller Länge.
Mit seinen sozialdarwinistischen Thesen und der radikalen Sprache ist Krall bis an den extrem rechten Rand anschlussfähig. 2020 hielt Krall einen Vortrag beim sächsischen Landesverband der AfD und bezog sich auch danach immer wieder positiv auf die rechtsextreme Partei. Er selbst verortet die AfD, inklusive des formal aufgelösten, laut Verfassungsschutz gesichert rechtsextremen „Flügels“, „innerhalb des demokratischen Spektrums“. Auf „X“ verlinkt Krall auf den rechtsextremen Blog „PI-News“ oder bewirbt sein Gespräch mit dem rechtsextremen österreichischen Medium „Auf1“. Zuletzt sorgte aber vor allem ein Kontakt Kralls für Aufsehen.
„Das Heilige Deutschland“: Die Krall-Reuß-Verbindung
Wie die „Zeit“ im Mai 2023 berichtete, stand Markus Krall zeitweise im Austausch mit Heinrich Prinz Reuß, der aktuell als mutmaßlich führendes Mitglied einer Reichsbürger-Terrorgruppe vor Gericht steht. Die Gruppe um Reuß habe Krall zeitweise gar als „Finanzminister“ im „Schattenkabinett“ anwerben wollen, das sie nach dem laut Ermittlern geplanten gewaltsamen Umsturz habe einsetzen wollen. Krall sagte damals, er habe Reuß „geschäftlich kennengelernt“ und die mutmaßlichen Pläne der Gruppe nicht gekannt. Ein Treffen habe er wegen „wirrer politischer Äußerungen“ abgebrochen.
Im August 2023 berichtete der „Spiegel“ dann über einen Chat-Austausch zwischen Reuß und Krall, der sich aus Kralls Handy rekonstruieren ließe, das Ermittler beschlagnahmt hatten. Krall gilt im Terrorverfahren gegen die Reuß-Gruppe als Zeuge, nicht als Beschuldigter. Wenige Monate vor der Razzia gegen den Adligen und mutmaßliche Mitstreiter habe Krall demnach an Reuß von einer „Zeit der großen Wende“ geschrieben. Reuß habe das Nötige getan, „damit das Heilige Deutschland wieder Struktur annehmen kann“. Außerdem habe Krall dem Terror-Verdächtigen ein apokalyptisches Gedicht geschickt, das dessen „aufrechtes Kämpferherz“ stärken solle. Auch hier betonte Krall, von den mutmaßlich strafbaren Absichten nichts gewusst zu haben.
„Diese neue Ideologie, diese Radikalisierung des Neoliberalismus, die Krall und andere vertreten, ist per se rechts, sie ist verfassungsfeindlich, auch ohne rassistische, völkische Positionen“, sagt Andreas Kemper. „Diese Leute wollen Kernelemente unserer Verfassung abschaffen.“ Dass es Kontakte ins völkisch-rassistische Milieu gebe, wundere ihn daher nicht. Man habe gemeinsame Feindbilder und Ziele. „Es geht bei beiden Gruppen gegen die Grünen, gegen die ‚Gutmenschen‘, gegen das Linke.“ Was Markus Krall, Leute wie Reuß oder einen Björn Höcke eine, sei der Revolutionsgedanke. „Die wollen keine Reformen, die wollen einen Systemsturz.“
Rechtes Netzwerk-Treffen in der Liederhalle: Was sagt die Stadt?
Wusste die Veranstaltungsgesellschaft in.Stuttgart, wer sich da in der Liederhalle zum „Bürgergipfel“ einfinden wird? Grundsätzlich prüfe man Veranstalter und Themen, so ein Sprecher. „Nicht immer lassen sich aber alle Inhalte zum Zeitpunkt der Terminanfrage klären.“ Bei Vertragsabschluss seien in diesem Fall noch keine Redner oder weitere Inhalte bekannt gewesen. Laut Bewirtschaftungsvertrag sei die Liederhalle ein Raum für Veranstaltungen kultureller, gesellschaftlicher und unterhaltender Art. „Hier werden alle Veranstaltungen durchgeführt, die nicht gegen geltendes Recht beziehungsweise die Meinungsfreiheit verstoßen.“






