Querdenker-Demo in Stuttgart-Stammheim: Kämpferische Reden und Ballweg-Schlager
Rund 1.000 Menschen haben am Sonntagnachmittag (16.04.) in Stuttgart-Stammheim vor der Justizvollzugsanstalt (JVA) demonstriert. Anlass war die Freilassung des „Querdenken 711“-Gründers Michael Ballweg, der dort bis Anfang April neun Monate lang in Untersuchungshaft gesessen hatte. Die Demo wurde als „Freiheitsfest“ angekündigt. Wer war dort? Was wurde gesagt? War die Demo für die Querdenker-Szene ein Erfolg? Und ließ sich heraushören, wie es mit „Querdenken“ jetzt weitergeht? Wir haben uns das vor Ort angeschaut.
Dauerregen vor der JVA, Regenschirme und -jacken bestimmten das Bild. „Querdenken“-Fahnen wehten, mit Szene-Aufklebern gespickte Autos parkten am Rand. Auf der Demo-Bühne in Stammheim wurde gesprochen, gesungen und einmal für mehrere Minuten geschwiegen. Drei Programmpunkte fanden besondere Beachtung: Die Rede Michael Ballwegs, die Rede seines „Querdenken 711“-Partners Ralf Ludwig, und die Gesangseinlagen des Querdenkers "Björn Banane".
Michael Ballweg: „Mit meiner Verhaftung haben sie sich ein Eigentor geschossen“
"Mit meiner Verhaftung haben sie sich ein Eigentor geschossen“, sagte Ballweg zu Beginn seiner Rede. Die „Bewegung“ hätte sich seitdem weiter dezentralisiert. Er bedankte sich bei seinen Anhängern und prangerte die Zustände in der JVA an. „Querdenken 711“ habe eine Petition auf den Weg gebracht, um sich für Gefangene einzusetzen. Im Kern besteht sie aus zwei Forderungen: Eine Rückkehr zum Normalbetrieb wie vor Corona und ein Ausgleich für die erschwerten Haftbedingungen durch die Maßnahmen während der Pandemie.
Der „Querdenken 711“-Gründer gab sich kämpferisch. „Ihr seht, ich lasse mich nicht einschüchtern“, sagte Ballweg. Ein Konzept für die nächsten Jahre mit „Querdenken“ sei bereits geschrieben. Ballweg sagte, er sei nicht mehr im Widerstand, er wolle vielmehr die Zukunft gestalten. Beim anschließenden Aufzug um die JVA stieg Ballweg einen Hang hoch, um über die Gefängnismauer hinweg Grüße an die Gefangenen zu senden.

Ralf Ludwig: Der „angebliche Klimawandel“ als neues „Querdenken“-Thema?
Anwalt Ralf Ludwig, ebenfalls „Querdenken 711“, stellte zum wiederholten Male eine „Aufarbeitung“ der Corona-Zeit in Aussicht und warb für das von ihm dafür gegründete Zentrum. Die Politik würde „Täter“ schützen, sagte er in diesem Zusammenhang. Den „angeblichen Klimawandel“ machte er als zukünftiges Thema für die Bewegung aus. Zitat Ludwig: „Wir erleben das gleiche, was wir mit Corona erlebt haben, aktuell nicht in dem Maße, aber doch sehr ähnlich, über die Klimapolitik. Es geht schon los, dass dort über Einschränkungen diskutiert wird.“
Ralf Ludwig war es auch, der unseren Verlag im Vorfeld der Demo kritisiert hatte. Wir hatten über die geplante Demo berichtet und dabei auf extrem rechte Aktivisten aus dem Rems-Murr-Kreis verwiesen, die in der Vergangenheit Demos für Ballweg vor der JVA besucht hatten. Ludwigs Vorwurf: Hier würde mit „Kontaktschuld“ gearbeitet, und „versucht, Stimmung zu machen.“ Doch selbst wenn man außer Acht lässt, dass „Querdenken 711“ vom Verfassungsschutz beobachtet wird, fanden sich bei der aktuellen Demo wieder mehrere radikale Aktivisten auf, hinter und vor der Bühne.
Björn Banane: Ballweg-Schlager und völkisches Gedankengut
Da wäre „Björn Banane“: Der Schlagersänger gab in Stammheim seine zwei eigens für Michael Ballweg komponierten Stücke zum Besten. „Banane“ ist fester Bestandteil der Querdenker-Szene und bereits auf zahlreichen Demos gewesen. Er nannte die Corona-Impfung einen „biologischen Waffenangriff“ und schlug in der Vergangenheit auch völkische Töne an. So forderte er unter anderem, Flüchtlingen kein „Begrüßungsgeld“ zu zahlen, sondern es deutschen Eltern für jedes in die Welt gesetzte Kind zu geben – „damit wir als deutsches Volk nicht aussterben.“ Ob man ihn deshalb rechtsradikal nenne, sei ihm egal.
Rechte Verschwörungsideologen: Daniel Langhans und Heinrich Fiechtner
Auch der Ulmer Unternehmer Dr. Daniel Langhans ist fest in der Szene verankert. Sein Telegram-Kanal ist voller antisemitischer Codes und Verschwörungserzählungen. Er verbreitete erst im März einen Beitrag über den angeblichen „Bevölkerungsaustausch“ – eine rechtsextreme Verschwörungserzählung, mit denen Rechtsterroristen in der Vergangenheit Anschläge begründeten. Bei der Demo vor der JVA stand Langhans mehrfach im Bereich der Bühne.
Dort hatte sich auch Heinrich Fiechtner eingefunden. Der ehemalige AfD-Politiker und Landtagsabgeordnete wurde zuletzt wegen insgesamt 17 Straftaten zu einer Geldstrafe von über 70.000 Euro verurteilt. Er hatte angekündigt, Rechtsmittel einlegen zu wollen. Wie Langhans ist Fiechtner fester Bestandteil der Querdenker-Szene und fiel weit über den Raum Stuttgart hinaus mit radikalen Aussagen und NS-Vergleichen auf. Fiechtner fühlt sich nach eigenen Aussagen der AfD weiterhin verbunden.
AfD-Streamer „Weichreite TV“: Im Interview mit Michael Ballweg
Der AfD verbunden ist auch einer der zahlreichen Streamer, die sich aus den verschiedensten Winkeln der Republik in Stammheim eingefunden hatten: Sebastian Weber. Weber ist AfD-Politiker und Kreisrat in Leipzig, als Streamer „Weichreite TV“ begleitet er Demos der Querdenker-Szene und der extremen Rechten. Am Sonntag führte er hinter der Bühne ein Interview mit Ballweg. Aus dem Gespräch geht hervor, dass Ballweg Weber offenbar nicht kannte.
„Freiheitstrychler“ aus der Schweiz: „Einige in der Gruppe sind rechtsextrem“
Beim Zug um die JVA machten sich die mit Kuhglocken behangenen „Freiheitstrychler“ aus der Schweiz bemerkbar. Die Gruppe war schon häufiger auf Querdenker-Demos zu Gast. Im März schockierten die „Freiheitstrychler“ bei einer Demo in Bern mit dem „Harus“-Ruf, der laut Experten Sympathie zum Nationalsozialismus ausdrückt. Das berichtet das Schweizer Magazin „Blick“. Ein ehemaliges Mitglied hatte Teile der Gruppe zuvor als "rechtsextrem und eine Gefahr für die Gesellschaft" beschrieben.

Die Demonstration an der JVA Stammheim verlief ohne Zwischenfälle. Die Polizei war vor Ort, hielt sich aber im Hintergrund. Den Zug um das Gefängnis verfolgten die Beamten aus dem trockenen Auto heraus. Dass von den angemeldeten 3.000 bis 5.000 Teilnehmenden am Ende nur etwa 1.000 kamen, sorgte bei den Querdenkern offenbar nicht sonderlich für Unmut. Weitere Demos vor der JVA sind laut Veranstaltern erst einmal nicht geplant. Da die Kosten diesmal besonders hoch gewesen seien, bat man zwischen den Redebeiträgen um Spenden – was übrigbleibt, bekomme Michael Ballweg.