Schüler zu Demos gegen Rechtsextremismus gezwungen? AfD bleibt Belege schuldig
Die AfD versucht seit Beginn der Massendemonstrationen gegen Rechtsextremismus in Deutschland, diese Proteste in ein schlechtes Licht zu rücken. Neben DDR- und NS-Vergleichen hörte man dabei vor alle zwei Narrative aus den Reihen der rechtsextremen Partei, die nachweislich jeder Grundlage entbehren: Die Demo-Bilder seien manipuliert, Menschen würden für die Teilnahme bezahlt. Nun versucht die AfD in Baden-Württemberg offenbar ein drittes Narrativ zu etablieren: Schülerinnen und Schüler würden angeblich zur Teilnahme gezwungen. Wir haben nach Belegen für diese Behauptung gefragt.
Miguel Klauß: "Schüler gezwungen, bei Demos gegen rechts teilzunehmen"
Miguel Klauß (Wahlkreis Calw) ist einer von drei stellvertretenden Vorsitzenden der AfD-Fraktion im baden-württembergischen Landtag. In einem aktuellen Tiktok-Video, das er auch auf Facebook teilte, sagt er: "Anscheinend werden viele Schüler gezwungen, bei diesen Demos gegen rechts teilzunehmen." Die AfD habe schon "einige Hinweise" bekommen, darunter auch Schreiben von Schulen und Rektoren an Eltern und Kinder, in denen gestanden habe "sie müssen da teilnehmen oder sie können da teilnehmen." Wem solche Vorfälle in Baden-Württemberg bekannt seien, der könne sich bei ihm melden.
Die aktuellen Demonstrationen richten sich teilweise explizit gegen die rechtsextreme AfD. Das Recherche-Netzwerk "Correctiv" hat Mitte Januar ein Geheimtreffen von AfDlern, Neonazis, "Werteunion"-Mitgliedern und Unternehmern aufgedeckt, das bereits Ende November stattgefunden hatte. Dabei sollen Pläne zur Vertreibung von Millionen von Menschen nach völkischen und politischen Gesichtspunkten diskutiert worden sein. Auch ein Unternehmer aus Stuttgart nahm teil. Die Demos, an denen sich Berichten zufolge mittlerweile bereits über zwei Millionen Menschen beteiligt haben, sind eine direkte Folge der Berichterstattung. Die AfD versucht sich seitdem um Schadensbegrenzung – auch durch Diskreditierung der Demos.
Und die Belege? AfD-Politiker Miguel Klauß liefert keine
Miguel Klauß vermischt in seinem Video das Schwammige mit dem Konkreten: "Anscheinend", sagt er, während er den Eindruck erweckt, der Zwang zur Demo-Teilnahme sei eine Tatsache. "Müssen", sagt er, und schiebt dann ein "oder können" hinterher – ein fundamentaler Unterschied. Gleichzeitig sind es laut Klauß viele Schüler, die gezwungen worden sein sollen, und "einige Hinweise", die diese Behauptung angeblich stützen. Wir wollten deshalb von dem AfD-Politiker wissen: Welche Schulen sollen betroffen sein? Und hat er diese Hinweise, die ihm nach eigener Aussage vorliegen, vor Erstellen seines Videos überprüft?
Klauß beantwortet die Fragen im ersten Anlauf beide nicht, spricht stattdessen von Lehrern, die im Unterricht "massiv gegen de AfD Stimmung machen" würden oder einem Rektor, der "Demos 'gegen rechts'" im Zusammenhang mit der AfD begrüße. Erst auf erneute Nachfragt sagt er, er werde keine konkreten Schulen nennen, den Hinweisen wolle die AfD-Fraktion selbst nachgehen. Ob irgendeiner der angeblichen Hinweise vor Video-Veröffentlichung geprüft wurde, lässt er weiter offen.
Kultusministerium Baden-Württemberg: Keine derartigen Fälle bekannt
Klauß verweist in seiner Antwort auch auf die Kommentare unter seinem Tiktok-Video. Dort würden Beispiele genannt. Tatsächlich finden sich diverse Ortsnamen in den Kommentaren, aber keine Namen von Schulen. Nutzer fragen an diversen Stellen teils mehrfach nach, ob jemand auch eine konkrete Schule nennen könne. Als wir die Kommentare gesichtet haben, fand sich darin keine einzige Antwort auf diese Fragen.
Wir haken deshalb beim Kultusministerium von Baden-Württemberg nach: Gibt es Fälle, in denen Schülerinnen und Schüler durch Schulen oder Lehrpersonal gezwungen wurden, an Demos gegen Rechtsextremismus teilzunehmen? Haben sich Eltern deswegen beschwert? Die Antwortet kommt prompt: Nein, dem Ministerium sind keine derartigen Fälle bekannt. Auch einem rechten Medienportal, das sich mit Aufrufen von Schulen zur Demo-Teilnahme beschäftigt, finden sich keinerlei Belege für den von Klauß behaupteten Demo-Zwang. Was sich findet: Ein Bericht über einen von der AfD-Fraktion behaupteten Demo-Zwang an einer Rottenburger Schule, der sich laut Bericht des Schwäbischen Tagblatts als nicht existent herausstellte.
Demo-Aufrufe: Laut Kultusministerium problematisch
Ob ein aktiver Aufruf zur Teilnahme oder die Organisation einer solchen problematisch ist, ist eine andere Frage. Die AfD fordert laut Miguel Klauß, dass Schulen sich "parteipolitisch neutral" verhalten sollen. Ein Sprecher des Kultusministeriums sagt ebenfalls: "Schulen haben sich neutral zu verhalten", Lehrkräfte sollten weder zu Demos aufrufen, noch eine Teilnahme organisieren. "Demonstrationen gegen eine bestimmte Partei, die nicht verboten oder vom Verfassungsschutz als gesichert extremistisch gekennzeichnet ist, sind nicht erlaubt", so der Sprecher. In Baden-Württemberg wird die AfD lediglich als Verdachtsfall geführt.
Der Sprecher verweist in seiner Antwort auf die gesetzliche Grundlage (BeamtStG): "Beamtinnen und Beamte dienen dem ganzen Volk, nicht einer Partei. Sie haben ihre Aufgaben unparteiisch und gerecht zu erfüllen und ihr Amt zum Wohl der Allgemeinheit zu führen." Er fügt hinzu: "Aber selbstverständlich können Schülerinnen und Schüler wie auch Lehrkräfte für Rechtsstaatlichkeit und für die in der Verfassung der Bundesrepublik zum Ausdruck kommenden Werte demonstrieren."