Stuttgart & Region

Vom Gerichtssaal in den Vorstand: AfD-Nachwuchs wählt rechtsextremen Aktivisten

ja flagge habermann afd symbolfoto symbol symbolbild
Eine Fahne der AfD-Nachwuchsorganisation "Junge Alternative" bei einer Demo in Stuttgart. © Gabriel Habermann (Archiv)

Von einer rechtsextremen Organisation zur anderen: Jannis George, der kürzlich noch aufgrund einer rassistischen Aktion der Identitären-Gruppe "Reconquista 21" (R21) in Stuttgart wegen des Verdachts der Volksverhetzung vor Gericht stand, ist in den Landesvorstand der "Jungen Alternative" (JA) gewählt worden. Das geht aus Social Media Beiträgen von JA und AfD hervor. Die Grenzen zwischen der AfD-Nachwuchsorganisation und der Identitären Bewegung (IB) reißen damit noch weiter ein. Überraschend ist das nicht – es hatte sich seit Monaten angekündigt.

AfD, JA und IB: "Unvereinbarkeitsliste" als dürftiges Feigenblatt

Die JA bekennt sich seit längerem offen zum rechtsextremen "Vorfeld" der AfD, zu dem auch die Identitäre Bewegung zählt. Die AfD selbst führt die IB dagegen auf ihrer "Unvereinbarkeitsliste", auch wenn sie aktive und ehemalige Mitglieder als Mitarbeiter beschäftigt oder in Kreisvorständen duldet. Das zeigten zuletzt BR-Recherchen. Nachfragen zu IB-Personal bei der AfD wiegelte die rechtsextreme Partei in den vergangenen Monaten ab oder ging gar nicht erst darauf ein. Parallel dazu näherte man sich immer weiter an die Identitäre Bewegung an. Aber offen einen IB-Aktivisten in den Landesvorstand wählen?

Dass die "Junge Alternative" hier vorprescht, passt ins Bild. Unter Experten gilt sie als Radikalisierungsmotor der AfD. Sprich: Die JA treibt die AfD vor sich her. In den letzten zwei Jahren ließ sich beobachten, wie die Haltung der Nachwuchsorganisation zur Identitären Bewegung immer stärker zur Parteilinie wurde. Die JA nutzte dabei eine altbewährte AfD-Taktik: Die der schrittweisen Verschiebung der Grenzen – nicht des Sag-, sondern des Machbaren.

Identitäre Bewegung im Landtag: Gruppenfoto mit der AfD

Bereits im Mai 2023 war Michael S. aus Stuttgart, der führende Kopf der Identitären-Gruppe "R21" (damals noch "Wackre Schwaben"), im Landtag von Baden-Württemberg zu Gast. Bei einer Veranstaltung der "Jungen Alternative". Auf einem Foto posierte S. mit dem AfD-Fraktionschef Anton Baron. Baron nannte das später gegenüber dem SWR ein "Missgeschick".

Etwa zwei Monate später war Michael S. erneut bei einer JA-Veranstaltung in Stuttgart zu Gast. Erneut posierte S. mit einem AfD-Politiker: Dem Bundestagsabgeordneten Matthias Helferich, der sich in Chats einst "das freundliche Gesicht des NS" (= Nationalsozialismus; Anm.d.Red.) nannte. Helferich und die JA reagierten damals ähnlich auf eine Anfrage unserer Redaktion: Man unterziehe Besucher keiner "Gesinnungsprüfung".

Eine rechtsextreme "Karriere": Boxtraining und Selfies mit Sellner

Jannis George war damals auch auf dem Foto mit Helferich und S. zu sehen. Wer aber ist der Mann, der nun zum Landesvorstand der AfD-Jugend gehört? 

George nahm in den letzten Jahren nachweislich an Veranstaltungen der Identitären Bewegung teil, darunter Boxtrainings bei "Aktivistenwochenenden" oder ein "Kongress" mit dem österreichischen Rechtsextremisten Martin Sellner. Er trat als Mitglied der Gruppe "R21" in Erscheinung und beteiligte sich an deren Aktionen. Außerdem besuchte er im Juli 2024 das dürftig als "Sommerfest" getarnten rechtsextremen Vernetzungstreffen des "Instituts für Staatspolitik" in Schnellroda. All das ist durch Screenshots, Foto- und Videoaufnahmen belegt, die unserer Redaktion vorliegen.

Prozess in Bad Cannstatt: JA-Sprecher kommt persönlich

Im September wurden George und zwei weitere "R21"-Identitäre in Bad Cannstatt nach einer rassistischen Aktion am Inselbad wegen Hausfriedensbruch, Verstoß gegen das Vermummungsverbot bei Versammlungen und Volksverhetzung zu einer Freiheitsstrafe von sechs Monaten auf Bewährung verurteilt. Das Urteil ist noch nicht rechtskräftig, die Angeklagten haben Berufung eingelegt. Vor Gericht leugneten sie weder, der rechtsextremen Gruppe anzugehören, noch an der Aktion beteiligt gewesen zu sein. Vielmehr richtet sich die Berufung gegen die Beurteilung der Taten als Volksverhetzung.

Wusste die "Junge Alternative", wen sie da zu ihrem Vorstand wählt?  Die Frage stellt sich eigentlich nicht: Severin Köhler, bis vor wenigen Tagen JA-Landessprecher in Baden-Württemberg, besuchte Georges Gerichtsverhandlung in Bad Cannstatt damals persönlich.

JA sagt auf Nachfrage: "R21"-Bezug war bekannt

Auf Nachfrage unserer Redaktion bestätigt JA-Vorstandsmitglied Steffen Degler: "Uns war bekannt, dass Herr George in der Vergangenheit einmal an einer Aktion von R21 teilgenommen hatte. Weitergehend möchte Herr George sich auf die Jugendarbeit der AfD konzentrieren und hier sein Wirken entfalten, was wir ausdrücklich begrüßen und von den Mitgliedern auch so zum Ausdruck gebracht wurde." Jannis George sei kein Mitglied bei "R21", so Degler weiter.

Nachprüfen lässt sich das kaum. Rechtsextreme Gruppen führen für gewöhnlich keine öffentlich einsehbaren Mitgliederlisten. Prüfen lässt sich aber, in welchem Kontext George in den letzten Monaten öffentlich in Erscheinung trat. Und hier legen unsere Recherchen die Vermutung nahe, dass er parallel zu seiner "Karriere" im außerparlamentarischen Rechtsextremismus bereits für die JA tätig war. Zwei Beispiele: 

JA und Identitäre Bewegung: Ein rechtsextremes Doppelleben?

Für den 4. März 2024 lud die AfD zum Vortragsabend nach Ettlingen. Beworben wurde die Veranstaltung im Vorfeld über Social Media mit einer Grafik. Darauf zu sehen: Ein Bild von Jannis George mit dem Schriftzug "Jannis G., JA Karlsruhe". Die "Rechercheplattform zu Identitären Bewegung" wies auf "X" damals darauf hin.

Am 19. und 20. September 2024, also mehr als ein halbes Jahr später, veröffentlichte "R21" auf Telegram Beiträge zur Gerichtsverhandlung in Bad Cannstatt. Die Rede ist dabei stets von "unseren Aktivisten" und "unseren Jungs". Jannis George mit eingeschlossen.

VG WORT Zahlpixel