Rassistische Aktion am Inselbad Stuttgart: Junge Rechtsextremisten verurteilt
Drei Mitglieder der "Wackren Schwaben", eines mittlerweile umbenannten Ablegers der rechtsextremen Identitären Bewegung, mussten sich am Donnerstag (19.09.) in Stuttgart vor Gericht verantworten. Ihnen wurde vorgeworfen, sich mit einer rassistischen Aktion am Inselbad Stuttgart der Volksverhetzung, des Hausfriedensbruchs und des Verstoßes gegen das versammlungsrechtliche Vermummungsverbot schuldig gemacht zu haben. Zum Tatzeitpunkt waren die Männer 20, 23 und 25 Jahre alt. Am Ende war der Fall für die vorsitzende Richterin eindeutig – vor allem weil die Rechtsextremisten ihre Kamera samt Aufnahmen in Tatort-Nähe zurückließen. Trotzdem bleiben Fragen offen.
Gefahr und Bedrohung: Aktion auf dem Inselbad-Dach:
Die Vorgeschichte ist schnell erzählt: Am 23. Juli 2023 kletterten Vermummte auf das Dach des Inselbads, zündeten Rauchtöpfe, entrollten ein Banner mit der Forderung nach "Remigration", warfen Flyer mit rechtsextremem Inhalt vom Dach und flüchteten. Die rechtsextreme Identitären-Gruppe "Wackre Schwaben", die sich mittlerweile "Reconquista 21" (R21) nennt, reklamierte die rassistische Aktion für sich. Es sei eine Reaktion auf vorherige sexuelle Übergriffe im Inselbad gewesen.
Während die Rechtsextremisten behaupteten, Freibäder wieder sicherer machen zu wollen, zeigte die Gerichtsverhandlung am Amtsgericht Bad Cannstatt nun: Von Anwesenden wurde die Aktion als Gefahr und Bedrohung wahrgenommen. Ein Mitarbeiter der Inselbad-Security sagte beispielsweise, er habe Angst gehabt, von den Tätern verletzt zu werden.
Schwimmbad-Mitarbeiter: "Die Kinder haben geweint"
Die Zeugin, die bei der Richterin offenbar am meisten Eindruck hinterließ, arbeitete zur Tatzeit im Inselbad. Was passiert ist, habe sie "genau dokumentiert", sagte sie im Zeugenstand. Um 14.30 Uhr seien drei Männer mit einer Leiter auf das Dach des Inselbads geklettert. "Ich habe gesagt, das geht gar nicht! Das ist Hausfriedensbruch, was ihr da macht!" Einer der Männer habe daraufhin gesagt, das sei schon alles in Ordnung so, das sei angemeldet. Geglaubt habe sie kein Wort. Die Angestellte habe die Männer mehrfach gebeten, aufzuhören und vom Dach zu kommen. "Das war eine Gefahr für die Badegäste." Sie habe mit ihrem Team geschaut, dass sich niemand im Bereich unterhalb des Dachs aufhält, auch wegen der Rauchtöpfe. "Die Kinder haben geweint."
Die Täter waren vermummt. Aber die Augen des Mannes, der mit ihr gesprochen habe, seien ihr in Erinnerung geblieben. "Die Augen habe ich heute auch schon wahrgenommen", sagte sie unmittelbar nach Betreten des Gerichtssaals. Sie zeigte auf den Angeklagten, der zur Tatzeit 20 Jahre alt war. "Das waren Sie!" Weitere Indizien, wie beispielsweise übereinstimmende Kleidung, kamen im Verlauf des Verfahrens hinzu.
"Verpisst euch, ihr scheiss Nazis!": Verlorene Videokamera überführt Täter
Die Identifizierung der anderen beiden Männer erfolgte anhand von Videomaterial. Wie die Staatsanwaltschaft zum Verfahrensbeginn eröffnete, war beim Tatort eine GoPro-Videokamera mit belastenden Aufnahmen gefunden worden, die einer der Täter dort – offenbar unabsichtlich – zurückgelassen hatte. Die Aufnahmen wurden am Donnerstag im Gerichtssaal gezeigt. Die Gesichter waren dabei nach Ansicht des ermittelnden Polizeibeamten, der Staatsanwaltschaft und der Richterin gut zu erkennen.
Die Aufnahmen gaben nicht nur Einblick in Räumlichkeiten, in denen die rassistische Aktion nach Ansicht der Ermittler vorbereitet wurde, sie zeigten auch eine Art "Generalprobe". Für den Inselbad-Aufstieg mit der Leiter wurde offenbar an einem Baum geübt. Auch vom Tag der Tat fanden die Ermittler Aufnahmen im GoPro-Speicher, die den Weg zum Inselbad dokumentieren und zwei der Angeklagten unvermummt zeigen. Auf dem Dach wurde ebenfalls noch gefilmt: Während man die Täter auf ihrem eigenen Video "unsere Straßen, unser Land, die Jugend zeigt den Widerstand" skandieren hört, ruft eine Frauenstimme von unten: "Verpisst euch, ihr scheiss Nazis!"
Michael S.: Kopf der "Wackren Schwaben" als Zeuge geladen
Der ermittelnde Oberkommissar sprach im Zeugenstand ausführlich über die Rekonstruktion der Tat, die von der Polizei vorgenommen wurde. Kurioses Detail: Bei der Identifizierung der Täter hatten dem Polizisten zufolge auch die markanten Schuhe eine Rolle gespielt. Bilder davon wurden an die Wand projiziert. Einer er Angeklagten trug im Gerichtssaal offensichtlich die gleichen Schuhe wie auf dem Tatvideo.
Während der Vernehmung des Oberkommissars kamen immer wieder auch weitere Personen zur Sprache, die an der rassistischen Aktion möglicherweise in irgendeiner Form beteiligt waren. Einen hatte der Polizist im Verdacht, die Täter unweit des Inselbad-Parkplatzes getroffen und die Aktion dokumentiert zu haben: Michael S. aus Stuttgart. S. war am Donnerstag als Zeuge geladen, machte aber keine Aussage zu den Mutmaßungen des Polizisten – weder gegenüber der Richterin, noch unserer Redaktion.
Michael S. ist der Kopf der rechtsextremen Gruppe, die sich heute "R21" nennt. Er spielt eine wichtige Rolle in der rechtsextremen Identitären Bewegung und ist weit über Baden-Württemberg hinaus vernetzt. Außerdem gehört S. dem rechtsextremen "Filmkunstkollektiv" an, das unter anderem Propagandafilme für Björn Höcke dreht. Der Stuttgarter tauchte mehrfach bei Veranstaltungen der rechtsextremen AfD-Nachwuchsorganisation "Junge Alternative" (JA) auf, unter anderem im Landtag von Baden-Württemberg. Die Nähe zwischen Identitären und AfD-Nachwuchs wurde auch am Donnerstag deutlich: JA-Sprecher Severin Köhler besuchte die Gerichtsverhandlung ebenfalls.
Offene Fragen am Amtsgericht: Zeugen machen keine Angaben
Die Rolle von Michael S. blieb offen. Gegen ihn und sieben weitere Verdächtige ermittelt aktuell die Staatsanwaltschaft Ingolstadt wegen einer ähnlichen Aktion bei einer Asylunterkunft im bayrischen Peutenhausen im Februar 2023. Es gilt die Unschuldsvermutung. Auch weitere Fragen konnten im Zeugenstand nicht geklärt werden: Was hatte der minderjährige Bruder eines der Angeklagten, den Zivilpolizisten kurz vor der Tat in Tatortnähe kontrolliert hatten, dort mit einer Drohne vor? Hatte ein weiterer geladener Zeuge aus dem rechten Spektrum mit einem Fluchtwagen in der Nähe gewartet? Die Zeugen machten jeweils keine Angaben.
Verteidiger und Staatsanwalt: War es Volksverhetzung?
Der Verteidiger des damals 20-Jährigen Identitären zweifelte am Ende nicht am Ablauf der Ereignisse, sah aber den Tatbestand der Volksverhetzung nicht erfüllt. "Remigration", so argumentierte er, sei ein auch in der Wissenschaft genutzter Begriff. Sein Mandant und seine Mitangeklagten hätten mit der Aktion am Inselbad nur die Durchsetzung geltenden Rechts einfordern wollen, das sei "demokratisch" und "nachvollziehbar".
Der Staatsanwalt entgegnete, die drei Männer hätten mit ihrer Tat vor allem eine Botschaft senden wollen: Migranten seien aus ihrer Sicht nicht Teil der Gesellschaft, und die Bevölkerung müsse sich "mit allen Mitteln" gegen sie "zur Wehr setzen". Sowohl die Tatbestandsmerkmale "Aufstacheln zum Hass", wie auch "Störung des öffentlichen Friedens" seien aus seiner Sicht erfüllt.
Richterin berücksichtigt rechtsextremen Kontext: "Das macht Freibäder nicht sicherer"
Die Richterin ging in ihrer Urteilsbegründung ausführlich auf den Kontext der Tat ein. Die jungen Männer seien allesamt zur Tatzeit Mitglieder einer "zutiefst antidemokratischen Bewegung" gewesen, die verharmlosende Begriffe gezielt benutze, um "Positionen, die gegen das Grundgesetz verstoßen", salonfähig zu machen. Die rechtsextreme Identitäre Bewegung nutze den Begriff "Remigration" anders als die Wissenschaft. Wie Björn Höcke oder dem rechtsextremen Compact-Magazin gehe es der IB bei "Remigration" um die Diffamierung von Migranten, die man mit demütigenden Maßnahmen und unter Verweigerung ihrer Rechte aus Deutschland vertreiben wolle.
Zusätzlich hätten die Männer auf den Flyern, die vom Inselbad-Dach heruntergeworfen wurden, die rechtsextreme Verschwörungserzählung vom "Bevölkerungsaustausch" bemüht. Diese diente mehrfach Rechtsterroristen als Legitimationsgrundlage für ihre mörderischen Taten. Auch die Rauchtöpfe, die aus Sicht der Richterin "kriegerisch-martialisch" anmuteten, seien in die Beurteilung eingeflossen. Es sei den Männern darum gegangen, Stimmung gegen Migranten zu machen, und das Vertrauen in die Rechtssicherheit zu erschüttern. "Das macht Freibäder nicht sicherer", sagte sie abschließend zu der rassistischen Aktion. "Das macht, dass man sich nicht mehr in Freibäder traut. Kinder haben geweint."
Schuldig: So lautet das Urteil gegen die Identitären
Alle drei deutschen Staatsangehörigen wurden zu einer Freiheitsstrafe von sechs Monaten verurteilt, die auf Bewährung ausgesetzt wurde. Grund dafür war laut Richterin vor allem, dass keiner bislang vorbestraft sei. Die Bewährungszeit wurde auf zwei Jahre angesetzt. Mit Auflagen: Während des Bewährungszeitraums müssen die Identitären jede Adressänderung an das Gericht melden und innerhalb von vier Monaten je 80 Stunden gemeinnützige Arbeit leisten. Außerdem tragen sie die Kosten des Verfahrens. Das Urteil ist noch nicht rechtskräftig. Auf Telegram schrieb "R21" noch am Donnerstag (19.09.), das bereits Berufung eingelegt worden sei.