Razzia, Terror, Achselzucken: Warum Reichsbürger und Querdenker unterschätzt werden (Kommentar)
Die Razzia im Reichsbürger- und Querdenker-Milieu am Mittwoch (07.12.) mag die wohl größte in der Geschichte der Bundesrepublik gewesen sein. Doch Überraschendes hat sie nicht zutage gefördert. Umsturzpläne, Staatsstreich-Träume, Gewalt- und Tötungsfantasien gehören seit zwei Jahren zum alltäglichen Hintergrundrauschen, kommentiert unser Redakteur Alexander Roth.
Die Gefahr wurde lange nicht ernst genommen. Und wenn wir ehrlich sind: Sie wird es noch immer nicht. Schon jetzt werden die Terror-Pläne von Reichsbürgern und Querdenkern, die durch die große Razzia am Mittwoch ans Licht kamen, in den Sozialen Medien ins Lächerliche gezogen. Warum ist das so?
Querdenker und Reichsbürger: Zwischen Komik und Kopfschuss
Es fällt zugegebenermaßen leicht, sich darüber lustig zu machen. Treffen sich ein Reichsbürger-Prinz, ein ehemaliger Fallschirmjäger und eine AfD-Politikerin … das erzählt sich eigentlich von selbst. Heißt es dann noch, der Prinz soll versucht haben, sich mit der Russischen Föderation in Verbindung zu setzen, um eine Übergangsregierung mit sich selbst als Staatsoberhaupt zu besprechen, dann ist das mit „absurd“ noch höflich umschrieben.
Aber genau hier liegt die Gefahr. Reichsbürger und Querdenker werden seit Jahren belächelt. Sie sehen oft harmlos aus, singen schräge Lieder, erzählen häufig Humbug und glauben nahezu jeden Quatsch. Darüber vergisst man leicht, was sie auch noch tun: Sich vernetzen. Hetzen. Drohen. Bewaffnen. Töten.
Umsturz und Gewalt: Spuren nach Baden-Württemberg
Die mutmaßlichen Mitglieder der Vereinigung, gegen die sich die Razzia am Mittwoch richtete, sollen einen gewaltvollen Umsturz geplant haben, inklusive Tötung von Politikern. Es gab laut Ermittlern einen „militärischen Arm“ der Gruppe, der auch aktive und ehemalige Soldaten angehört haben sollen. Auch ein bewaffnetes Eindringen in den Bundestag sei diskutiert worden.
Vor Monaten fiel bereits eine ähnliche Gruppierung mit solchen Plänen auf. Die „Vereinten Patrioten“, gegen die ebenfalls der Generalbundesanwalt ermittelt, sollen neben Anschlägen und einem Staatsstreich auch die Entführung des Bundesgesundheitsministers Karl Lauterbach geplant haben. Auch hier Querdenker und Reichsbürger im Fokus, auch hier führen Spuren nach Baden-Württemberg.
Tödliche Gefahr: Verschwörungserzählungen sind keine "Spinnerei"
Die Gruppierungen verbindet auch der Glaube an Verschwörungserzählungen und die offenen Bezüge zur Querdenker-Szene. Einige der am Mittwoch festgenommenen Personen wurden durch Verschwörungserzälhungen radikalisiert, bewegten sich in diesem Milieu, gehörten teilweise zu prominenten Figuren. Sie sprachen in Mikrofone, redeten vom Umsturz. Man wusste, wie sie ticken. Höchste Zeit also, dass Teile der Gesellschaft, die dieses Phänomen immer noch gerne als „Spinnerei“ abtun, sich der Gefahr bewusstwerden.
Auch der Mann, der in Idar-Oberstein 2021 den 20 Jahre alten Studenten Alex W. erschoss, hing Verschwörungserzählungen an. Er „informierte“ sich auf Telegram. Ebenso der Familienvater, der in Königs Wusterhausen seine Frau, seine drei Kinder und sich selbst erschoss. Er war Medienberichten zufolge in Querdenker-Kreisen unterwegs.
Im Stich gelassen: Wie wehrhaft ist der Rechtsstaat?
Aber auch die Behörden müssen ihre Haltung überdenken. Die groß angelegte Razzia ist sicher wichtig, dass sie medial ebenso groß begleitet wurde aber mindestens irritierend. Wie die Bundestagsabgeordnete und Rechtsextremismus-Expertin Martina Renner (Linke) auf Twitter berichtet, sei die Razzia seit Tagen ein offenes Geheimnis. Es könnte sich der Verdacht aufdrängen, dass hier auch Imagepflege betrieben wurde.
Denn trotz aller Bemühungen: Den Behörden gelingt es kaum, der Welle an Hass und Hetze, die aus der Reichsbürger- und Querdenker-Szene in die Gesellschaft schwappt, Herr zu werden. Gesetze greifen nicht, Gerichte sind überlastet, es vergehen manchmal mehrere Jahre bis zu einer Anklage. Betroffenen Klagen darüber, von Sicherheitsbehörden im Stich gelassen zu werden.
Extremismus in Sicherheitsbehörden: Es braucht unabhängige Kontrolle
Die Szene weiß das. Längst hat niemand mehr Angst, öffentlich über Anschläge oder einen Staatsstreich zu sprechen. Festnahmen und Verfahren werden auf Telegram zu Happenings, Inhaftierte zu Märtyrern hochstilisiert. Man wähnt sich noch stärker im Widerstand gegen eine vermeintliche Diktatur. Das Gewaltpotenzial steigt.
Politik und Behörden wehren sich außerdem beharrlich dagegen, das Problem der rechten Extremisten in Sicherheitsbehörden ernsthaft anzugehen. Wichtige Studien werden mit fadenscheinigen Argumente abgeschmettert, eine unabhängige Kontrolle findet nicht statt. Dabei zeigt auch die Razzia vom Mittwoch, wie bitter nötig das wäre – schließlich gehören auch Soldaten und ein ehemaliger Polizist zu den Verdächtigen. Diese Probleme sind seit Jahren bekannt, Expertinnen und Experten weisen immer wieder darauf hin. Passiert ist wenig.
Spur von Hass und Gewalt: Das gesellschaftliche Achselzucken
Passiert ist wenig – auf die Szene der Querdenker und Reichsbürger trifft das nicht zu. Auch wenn im aktuellen Fall vielleicht Schlimmeres verhindert wurde, gibt es doch eine Spur von Hass und Gewalt, die sich durch die vergangenen Jahre zieht. Doch die Gesellschaft scheint sich längst an ausgehobene Waffenlager, Feindeslisten, Drohungen, Mord und Umsturzfantasien gewöhnt zu haben. Auch die Razzia vom Mittwoch wird schnell Teil dieses Hintergrundrauschens werden.
Und wenn die aktuelle Aufregung sich gelegt hat, gibt es wieder den Ton an: Das akustische Äquivalent des kollektiven Achselzuckens. Diese Illusion von Stille. Bis es irgendwann richtig knallt.





