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Gericht prüft Haft von Michael Ballweg: Was dem Querdenken-Chef vorgeworfen wird

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Michael Ballweg (Querdenken 711)  bei einer Demo auf dem Schorndorfer Marktplatz. © Gaby Schneider

Im Fall des „Querdenken“-Gründers Michael Ballweg steht am Donnerstag (23.03.) ein erneuter Haftprüfungstermin vor dem Amtsgericht Stuttgart an. In Telegram-Kanälen der Querdenker-Szene wird für diesen Tag bereits zu einer Demonstration vor dem Gerichtsgebäude aufgerufen. Die Ermittlungen der Staatsanwaltschaft ziehen sich nun schon über Monate hin, vieles hat sich seit der Verhaftung Ballwegs getan. Was dem Oberhaupt von „Querdenken 711“ vorgeworfen? Wieso sitzt er noch in Haft in der JVA Stammheim? Worum soll es am Donnerstag gehen? Und wieso bezeichnen seine Anhänger Michael Ballweg als „politischen Gefangenen“? Ein Überblick.
Hinweis der Redaktion: Der Haftprüfungstermin wurde abgesagt, nachdem am Montag (20.03.) Anklage gegen Michael Ballweg erhoben wurde.

Die Vorwürfe: Hat Ballweg seine Anhänger zu täuschen versucht?

Die Vorwürfe gegen Michael Ballweg haben sich im Laufe der Zeit verändert: Bei seiner Verhaftung Ende Juni 2022 war Ballweg noch der Geldwäsche und des Betruges verdächtigt worden. Nach weiteren Ermittlungen und einer Haftbeschwerde von Ballwegs Anwälten wurde am 14. November 2022 ein neuer Haftbefehl vom Oberlandesgericht Stuttgart ausgestellt. Demzufolge wird nun nur noch wegen versuchten Betrugs und Geldwäsche gegen den „Querdenken“-Gründer ermittelt.

Konkret lautet der Verdacht, dass Ballweg seit Mai 2020 bei seinen Anhängern um Schenkungen geworben haben und sie dabei über die Verwendung der Gelder getäuscht haben soll. Statt das Geld für „Querdenken 711“ zu verwenden, hätte er es für private Zwecke genutzt. Durch die Schenkungen seien auf Ballwegs mittlerweile gekündigtem Konto bei der Volksbank am Württemberg in Fellbach bis Mai 2022 knapp 1,3 Millionen Euro eingegangen.

Die Befragung: Was dachten Menschen, wofür Ballweg ihr Geld verwendet?

Dass der Betrag öffentlich wurde, hängt mit einem geleakten Dokument zusammen, das seinen Weg auf Telegram fand: Die Staatsanwaltschaft Stuttgart hatte ab September 2022 die Menschen angeschrieben, die Geld auf Ballwegs Konto überwiesen hatten. Der Fragebogen landete beim Messenger-Dienst. Mit der Befragung sollten zwei zentrale Fragen der Ermittlungen geklärt werden: Was dachten die Menschen, wofür ihr Geld verwendet werden wird? Und hätten sie ein Problem damit, wenn Michael Ballweg dieses Geld für private Ausgaben verwendet haben sollte?

Was bei der Befragung herauskam, berichtete der SWR im Februar 2023 mit Verweis auf Ermittlungsunterlagen. Demnach hätten mehr als 650 von etwa 1000 angeschriebenen Personen die Fragen beantwortet. Weniger als ein Drittel sei davon ausgegangen, dass ihr Geld für Demonstrationen verwendet würde, wobei ein Teil auch eine private Verwendung untersagt habe. Der Rest habe angegeben, den „Querdenken“-Gründer „persönlich unterstützen zu wollen“ – egal, wie er das Geld verwende.

Das Geld: Um welche Summe geht es im Fall Michael Ballweg?

Auch die Summe, um die es im Verfahren geht, hat sich im Laufe der Zeit verändert. Ursprünglich waren Ballweg verdächtigt worden, einen „hohen sechsstelligen Betrag“ von über 600.000 Euro für sich selbst verwendet zu haben. Laut SWR wurden im neuen Haftbefehl daraus „mutmaßlich private Ausgaben von knapp 150.000 Euro“ – das sei weniger, als die Befragen ihm ohnehin ohne Zweckbindung geschenkt haben sollen.

Auch wenn die Mehrheit kein Problem mit der mutmaßlichen Verwendung der Gelder hätte, könne Ballweg aus Sicht der Ermittler beabsichtigt haben, die Menschen, die ihm Geld überwiesen hatten, zu betrügen. Der „Querdenken“-Gründer und seine Verteidiger wiesen diesen Vorwurf wiederholt zurück.

Der Haftgrund: Fluchtgefahr – wollte Ballweg nach Costa Rica?

Ein weiterer Streitpunkt: Michael Ballweg sitzt seit Ende Juni 2022 in Untersuchungshaft in der Justizvollzugsanstalt in Stuttgart-Stammheim. Die Haft wird mit bestehender Fluchtgefahr begründet. Das Oberlandesgericht Stuttgart hatte Anfang Januar 2023 noch einmal bekräftigt, dass diese Gefahr aus Sicht der Behörden weiterhin bestehe und deshalb eine Haftverlängerung angeordnet.

Polizei und Staatsanwaltschaft gehen davon aus, dass Ballweg sich im Sommer 2022 nach Costa Rica absetzen wollte. Rechtsanwalt Dr. Alexander Christ, Sprecher des Verteidigerteams von Michael Ballweg, hatte das in Pressemitteilungen mehrfach zurückgewiesen. Dokumente, die Ballweg in dieser Hinsicht entlasten sollen, seien nicht berücksichtigt worden. „Querdenken“-Gründer Ballweg selbst bezeichnete Berichte über angebliche Auswanderungspläne dem „Spiegel“ gegenüber als „Unsinn“.

Die Haftdauer: Fast neun Monate in U-Haft – wie wird das gerechtfertigt?

Ballwegs Anwälte haben in der Vergangenheit bei verschiedenen Gelegenheiten versucht, ihren Mandanten freizubekommen. Bei Haftprüfungsterminen oder per Haftbeschwerde – bislang erfolglos. Dass die U-Haft von Michael Ballweg nun schon weit über ein halbes Jahr andauert, war dabei zuletzt stets ein zentraler Kritikpunkt. Aus Sicht der Verteidiger ist das rechtswidrig.

Nach Strafprozessordnung dürfen sechs Monate nur dann überschritten werden, „wenn die besondere Schwierigkeit oder der besondere Umfang der Ermittlungen oder ein anderer wichtiger Grund das Urteil noch nicht zulassen und die Fortdauer der Haft rechtfertigen.“ Aus der Sicht von Ballwegs Anwälten sind diese Gründe im Fall des „Querdenken“-Initiators nicht erfüllt. Das Oberlandesgericht Stuttgart bescheinigte dagegen den Ermittlungsbehörden Anfang Januar 2023, die Ermittlungen seien seit Ballwegs Festnahme „durchweg mit der gebotenen Beschleunigung zügig geführt“ worden.

Die Verfassungsbeschwerde: Gab es Fehler im Ermittlungsverfahren?

Ballwegs Anwälte hatten zuletzt wegen möglicher Verfahrensfehler Verfassungsbeschwerde gegen den Haftbefehl sowie die Entscheidung des Oberlandesgerichtes eingelegt. Am 6. März wies das Bundesverfassungsgericht diese Beschwerde zurück, wie „Querdenken“-Anwalt Ralf Ludwig auf Telegram vermeldete. Gleichwohl habe das Verfassungsgericht es als möglich erachtet, dass das „rechtliche Gehör von Michael Ballweg“ verletzt worden sein könnte, so Ludwig. „Der Ball liegt jetzt wieder beim Oberlandesgericht.“

Der Haftprüfungstermin: Worum geht es vor dem Amtsgericht Stuttgart?

Das dürfte auch beim Haftprüfungstermin vor dem Amtsgericht am Donnerstag zur Sprache kommen. Dabei wird vor dem zuständigen Ermittlungsrichter verhandelt, ob Ballweg weiter in Untersuchungshaft bleibt. Wie die Verteidiger die Chancen einschätzen, dass sie diesmal die Freilassung ihres Mandanten erwirken können, ist bislang nicht bekannt. Unsere Redaktion hat dazu am Freitag (17.03.) Sprecher Dr. Alexander Christ angefragt. Eine Antwort steht noch aus.

Die Demos: Ist Ballweg ein „politischer Gefangener“?

Die Demonstration, die für den Donnerstagmittag angekündigt ist, wird mit den Worten beworben: „Freiheit für den politischen Gefangenen Michael Ballweg!“. Mehrfach wurde Ballweg schon als solcher Bezeichnet – bei vergangenen Demos vor der JVA Stammheim, in Telegram-Kanälen der Querdenker-Szene, aber auch von Anwalt Ralf Ludwig oder der rechtsradikalen AfD-Bundestagsabgeordneten Christina Baum. Da die Anhänger und Verteidiger Ballwegs davon ausgehen, dass die Vorwürfe gegen ihn jeder Grundlage entbehren, sehen die das Ermittlungsverfahren als politisch motiviert an.

„Querdenken 711“ wird in Baden-Württemberg seit Dezember von 2020 vom Landesamt für Verfassungsschutz (LfV) beobachtet, die „Querdenken“-Bewegung seit einiger Zeit auch bundesweit. Das LfV attestierte Ballwegs Initiative damals eine „grundsätzliche Staatsfeindlichkeit bei führenden Personen“ und die Verbreitung extremistischer Narrative aus dem Organisationsteam heraus. Ein Zusammenhang zwischen Ballwegs politischen Aktivitäten und den Vorwürfen im Ermittlungsverfahren der Staatsanwaltschaft Stuttgart ist aber weder ersichtlich, noch wurden dafür bislang Belege angeführt.

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