Träumen sollen nur die Fans - vorerst: Wie der VfB im Höhenflug die Balance hält
Der Höhenflug des VfB Stuttgart geht weiter und weiter. Die Bodenhaftung verliert am Wasen allerdings niemand. Träumen sollen vorerst nur die Fans. Eine Anpassung des Saisonziels scheint angesichts der aktuellen Form der Mannschaft jedoch nur noch eine Frage der Zeit.
Ein VfB-Angriff schön wie ein Gemälde von Monet
Was diese vielen feinen Fußballer in Diensten des VfB so alles drauf haben, zeigten sie beim 2:0 gegen Werder Bremen bereits in der 11. Minute. Ins Mittelfeld hatte sich Deniz Undav fallen lassen und war von dort mit Ball und Tempo in Richtung der bemitleidenswerten Werder-Defensive aufgebrochen. Die musste an diesem eisigen Samstagabend (02.12.) nämlich nicht nur Undav (mittlerweile acht Tore in zehn Spielen) in den Griff bekommen, sondern auch Serhou Guirassy (16 Treffer in elf Partien). Es sollte überhaupt nicht funktionieren.
Wie eben in Minute elf. Undav schüttelte zwei Gegenspieler ab, suchte mit einem feinen Zuspiel direkt seinen Sturmpartner und nach einer herrlichen doppelten Doppelpass-Kombination der beiden Top-Scorer hätte SVW-Keeper Michael Zetterer um ein Haar zum ersten Mal hinter sich greifen müssen. Ein Angriff schön wie ein verträumtes Gemälde von Monet – und das ausgerechnet im Kunst-Sondertrikot der Schwaben.
Fünf Bremer Abwehrspieler hatten die fein vorgetragene Fußball-Kunst-Aktion der Stuttgarter Stürmer aus nächster Nähe verfolgt und nicht unterbinden können. Und im Endeffekt sollte das über die gesamte Spielzeit so bleiben. Bremen war dem VfB in quasi allen Belangen unterlegen.
VfB-Trainer Sebastian Hoeneß hatte das Visier heruntergeklappt und seine beiden Goalgetter erstmals in dieser Saison von Beginn an auf eine gegnerische Abwehrreihe losgelassen. Und wenig überraschend funktionierte das ganz ausgezeichnet. Dass die Partie „nur“ mit 2:0 an die Hausherren ging, lag einzig und allein an der mangelhaften Chancenverwertung des VfB.
„Nicht so viel klein-klein“: Woran der VfB noch arbeiten muss
Alleine Guirassy hätte gegen eine verblüffend indisponierte Bremer Mannschaft mindestens einen Doppelpack schnüren müssen. „Wir hätten viel mehr schießen können, dann wären ein, zwei weitere Tore gefallen. Daran müssen wir arbeiten, dass wir vorne effizienter werden und nicht so viel klein-klein spielen“, merkte deshalb Undav im Nachgang an. Chefcoach Hoeneß war dennoch zufrieden: „Vor allem in der ersten Halbzeit war es ein richtig gutes Spiel von uns. Wir haben ein gutes Pressing gespielt. Waren wach, waren da.“
Neben den mitunter zu verspielten Angriffen (Sportchef Fabian Wohlgemuth: „Wir haben es ein Stück weit zu sehr zelebriert“) musste Hoeneß fast schon pflichtschuldig noch einen Spannungsverlust in der Schlussphase anprangern. Ernsthaft in Gefahr geriet der zehnte VfB-Sieg im 13. Saisonspiel dabei aber nicht. Und kaum auszumalen, wo diese spielstarke wie selbstbewusste Stuttgarter Mannschaft stehen würde, wenn sie auch noch diese Schwächen abstellen könnte. Ganz sicher wären dann die Spiele gegen Hoffenheim (2:3) und Heidenheim (0:2) zumindest nicht verloren gegangen. Und der BVB (2:1), Frankfurt (2:1) und Bremen (2:0) hätten deutlich klarer den Kürzeren gezogen.
Das VfB-Mindset: Die Bodenhaftung verliert in Bad Cannstatt niemand
So oder so warten auf die Hoeneß-Elf nun mit dem DFB-Pokal-Achtelfinale gegen Dortmund (06.12.) sowie den Bundesliga-Duellen gegen Spitzenreiter Leverkusen (10.12.) und Rekordmeister München (17.12.) drei Spiele auf absolutem Top-Niveau. Dabei führt die Traumreise des Fast-Absteigers aus dem Vorjahr jetzt schon in kaum für möglich gehaltene Höhen. Die Bodenhaftung verliert in Bad Cannstatt dennoch niemand. Auch wenn Sportdirektor Wohlgemuth dem Anhang das Träumen ausdrücklich erlaubt.
Bislang meistern die Stuttgarter Verantwortlichen und Spieler diesen Balanceakt geradezu perfekt. All das in dem Wissen: Vor einem halben Jahr ging es noch in der Relegation gegen den Abstieg. Das hat im positiven Sinn Spuren hinterlassen, das gesamte Gebilde zusammengeschweißt. Solange das Ziel von einer „sorgenfreien Saison“ nicht erreicht ist, wird am Wasen jedenfalls niemand eine andere Zielvorgabe für die restliche Spielzeit vorgeben. Und zehn Zähler fehlen ja noch bis zur ominösen 40-Punkte-Marke. „Diese zehn Punkte muss man auch erst einmal holen“, so Wohlgemuth.
Mit dieser Art von Mindest fahren sie bislang ganz wunderbar. „Wenn wir auf der Welle weiter reiten, das Momentum weiter so gut erwischen“, meinte Wohlgemuth nach dem Bremen-Spiel, „können wir gerne im Februar, März oder April über andere Dinge sprechen.“ Ebenso verfährt Sebastian Hoeneß, der wie sein Sportchef das Träumen den Fans überlässt – zumindest vorerst: „Es wäre nicht schlau, jetzt etwas hinauszuposaunen. Wir möchten weiter gute Spiele machen. Wenn wir im März immer noch da oben stehen, werde ich mich dem aber sicher nicht verweigern.“