VfB Stuttgart

VfB-Herzstück Wataru Endo: Wie der schwäbische Atlas das Stuttgarter Spiel trägt

Fußball  1. FSV Mainz 05 vs. VfB Stuttgart
Oh Captain, My Captain! In Mainz brachte Wataru Endo den VfB zurück ins Spiel. © Pressefoto Baumann

Wie der Titan Atlas in der griechischen Mythologie die Last der Welt auf seinen Schultern trägt, so stemmt Kapitän Wataru Endo das Spiel des VfB Stuttgart. Der Japaner ist unverzichtbar für Trainer Sebastian Hoeneß und seine Mitspieler. Über den vielleicht ungewöhnlichsten Führungsspieler der Bundesliga.

Warum Wataru Endo kein klassischer Kapitän ist

Endo ist ein Kapitän der anderen Art. Kein Lautsprecher im Wortsinn, kein Phrasendrescher nach verlorenen Spielen, kein Große-Töne-Spucker nach klaren Siegen - wobei es dazu in letzter Zeit ohnehin nur selten Gelegenheiten gegeben hätte. Überhaupt sind seine Wortmeldungen in der Öffentlichkeit rar gesät. Im Fokus stehen meist andere. Positiv wie negativ.

Endo ist neben dem Platz ein stiller Vertreter seiner Zunft. Seine Führungsrolle übernimmt der Japaner dafür umso energischer auf dem Rasen. Und das meist mit Wucht. Wie am Sonntag (21.05.) in Mainz, als er seine Mannschaft mal wieder aus einer überaus brenzligen Situation führte

Der Endo-Transfer war die wertvollste VfB-Investition der letzten Jahre

Sein Ausgleichstreffer vor der Halbzeitpause leitete letztlich die Wende im Spiel und für den Klub womöglich die Wende zum Happy End in einer komplizierten Saison ein. Der ehemalige Sportdirektor Sven Mislintat, der den Spieler einst für 300.000 Euro Leihgebühr aus Belgien an den Neckar lotste und später für läppische 1,7 Millionen Euro fest verpflichtete, hätte wohl von einem „Boss-Move“ gesprochen.

Und ohne jeden Zweifel: Diese zwei Millionen Euro waren wohl die sinnvollste Investition des VfB in den letzten zehn Jahren. Mit Sicherheit war der Transfer des Musterprofis aus Fernost die wertvollste Kapitalanlage der jüngeren VfB-Historie. Sein Heldendenkmal hat sich der Spieler dabei bereits im vergangenen Jahr mit seinem Kopfballtreffer zur Last-Minute-Rettung gegen Köln verdient - dem größten aller „Boss-Moves“. Der Mann aus Yokohama ist in Stuttgart längst zur „Legendo“ geworden.

Auch in dieser Saison ist Endo wieder der Spieler für die wichtigen Momente. Bei fünf Saisontoren steht der 30-Jährige aktuell, dazu kommen vier Vorlagen und beachtliche 431 gewonnene Zweikämpfe. Noch viel wichtiger als all die mittlerweile ins Kraut schießenden Statistiken sind jedoch die von den Daten-Experten nicht greifbaren Werte des Japaners. Wie der Stuttgarter Skipper ein Spiel in rauer See an sich reißen kann, wie er dadurch seine Mitspieler aus der Lethargie weckt und wie er durch seinen unbändigen Siegeswillen vorangeht. Unbezahlbar für den VfB. 

Symbolhaft dafür steht sein erzwungener Ausgleichstreffer im Duell mit dem FC Augsburg Ende April, als Endo den Ball irgendwie über die Linie drückte. Nicht durch Technik oder Timing. Sondern durch puren Willen. Bezeichnend auch: Nach dem Tor ging es nicht zum exzessiven Jubel mit ausgefeilter Choreografie, sondern schnurstracks zurück in die eigene Hälfte. Es gab ja schließlich noch einen Job zu erledigen. Und noch die Chance auf einen Sieg.  

Ein Vorbild für alle VfB-Profis

Ex-VfB-Trainer Matarazzo sagte einmal über das Herzstück seiner Mannschaft: „Über Watarus Charakter könnte ich ein ganzes Buch schreiben.“ Und: „Er ist ein Vorbild für alle.“ Weshalb Matarazzo den vierfachen Familienvater im Sommer 2021 auch zum Kapitän ernannte. „Mir ist wichtig, dass unser Kapitän alle mitnehmen kann, der die Werte verkörpert, für die wir stehen wollen und als Beispiel vorangeht“, begründete Matarazzo die Entscheidung seinerzeit.

Mit der Binde am Arm trägt der japanische Nationalspieler noch mehr Verantwortung als er es auf dem Rasen ohnehin schon tut. In schwierigen Phasen wirkte es mitunter, als wolle der Kapitän alle Brandherde auf dem Platz gleichzeitig löschen. Dabei gab es schlicht zu viele. Und auch der Wirkbereich des scheinbar nimmermüden Mittelfeldmotors ist endlich. 

Vermutlich würde sich Endo, wenn es hart auf hart kommt, sogar die Torhüter-Handschuhe überziehen und dort im Rahmen seiner Möglichkeiten einen ordentlichen Job machen. Dabei ist dieser ungebrochene Diensteifer eine Schlüsselqualifikation, die so manchem Stuttgart Spieler bisweilen abhandenkommt.

Endo ist Einsatz: Immer einhundert Prozent

Einen Wataru Endo, der seine 1,78 Meter nicht in jedes noch so aussichtslose Kopfballduell gegen einen hünenhaften Gegner wirft, haben sie im Schwabenland in den vergangenen Jahren in keinem seiner bisher 129 Spiele für den Klub mit dem roten Brustring gesehen. Endo ist Einsatz. Immer einhundert Prozent. Egal wann und egal ob gegen die Bayern oder in der ersten Pokalrunde gegen einen Dorfverein aus der Uckermark.

Nun wird der vielleicht ungewöhnlichste Führungsspieler der Liga am kommenden Samstag (27.05.) wieder gebraucht. Dieses Mal gegen einen selbsternannten Dorfverein aus der Nähe von Sinsheim. Matchball für den VfB. Gewinnt Stuttgart gegen Hoffenheim, ist der Klassenerhalt eingetütet. Zwar mussten die Fans dann wie schon im Vorjahr bis zum letzten Spieltag zittern, aber unterm Strich würde das selbstgesteckte Saisonziel wieder erreicht werden. 

Eine Sache steht dabei jetzt schon fest: Endo wird bereit sein. Und sein Herz auf dem Platz lassen. Wie so oft, wenn der schwäbische Atlas die ganze Last des Stuttgarter Spiels auf seinen Schultern trägt.  

Die Stuttgarter Ausgangslage für den 34. Spieltag:

Der VfB Stuttgart ...

  • ... rettet sich mit einem Sieg gegen Hoffenheim.
  • ... rettet sich mit einem Unentschieden, wenn Schalke und Bochum nicht gewinnen.
  • ... rettet sich bei einer Niederlage, wenn Schalke nicht gewinnt und Bochum verliert.
  • ... muss bei einem Unentschieden in die Relegation, wenn Schalke gewinnt und Bochum höchstens unentschieden spielt.
  • ... muss bei einer Niederlage in die Relegation, wenn Schalke gewinnt und Bochum verliert oder wenn Schalke nicht gewinnt und Bochum mindestens einen Punkt holt.

(Anm. d. Red.: Szenarien, in denen die um 22 und 23 Treffer bessere Tordifferenz im Vergleich zum FC Schalke 04 und VfL Bochum verspielt wird, sind hier nicht genannt.)