Nach Doku über radikale Querdenker: Hass und Hetze gegen SWR-Journalisten
Der SWR hat Ende Januar eine Dokumentation aus der Reihe „Vollbild“ mit dem Titel „Rache für Corona – wie weit gehen radikale Impfgegner?“ veröffentlicht. Die Querdenker-Szene reagiert mit wüsten Beleidigungen bis hin zu unverhohlenen Gewaltfantasien. Angeheizt wird die Stimmung vor allem von einem, der selbst in der Doku vorkommt und regelmäßig mit radikalen Aussagen auffällt: dem ehemaligen Landtagsabgeordneten Heinrich Fiechtner aus Stuttgart.
Rachefantasien: Querdenker und die angeblich tödliche Impfung
Worum geht es in dem Beitrag? Im Zentrum der Dokumentation steht die Forderung der Querdenker-Szene, es müsse eine Art Aufarbeitung für die Corona-Zeit geben. Die Journalisten zeigen anschaulich, dass sich dahinter in vielen Fällen Rachefantasien verbergen. Auf Telegram werden Hinrichtungen für Politiker gefordert oder sich deren Selbstmord gewünscht. Unserer Redaktion liegen zahlreiche vergleichbare Aussagen aus Telegram-Kanälen der Szene vor. Den Hass, der aus solchen Beiträgen spricht, rechtfertigt die Szene mit der Verschwörungserzählung, es gebe massenhaft Impftote, die angeblich verschwiegen würden. Belege dafür gibt es keine. Dass das Paul-Ehrlich-Institut (PEI) laut SWR nur in 127 Todesfällen einen ursächlichen Zusammenhang zu einer Covid-Impfung feststellen konnte, überzeugt unter Querdenkern niemanden.
Der Glaube an die angeblich tödliche „Giftspritze“ hat teilweise drastische Folgen. Jüngstes Beispiel: Ein 20-Jähriger gestand laut BR im Oktober 2023 die Tötung seiner eigenen Mutter. Er habe damit verhindern wollen, dass sein jüngerer Bruder durch die Corona-Impfung „vergiftet“ werde. Deshalb habe er seine Mutter erst gewürgt und ihr dann mit einer Armbrust zweimal in den Hinterkopf geschossen.
Heinrich Fiechtner: Ein Kopf der Querdenker-Szene
Im Rahmen ihrer Recherche für den SWR haben die Journalisten Nino Seidel und Lisa Hüttl auch den Stuttgarter Arzt, ehemaligen Landtagsabgeordneten und früheren AfD-Politiker Heinrich Fiechtner besucht. Fiechtner ist ein zentraler Akteur der Querdenker-Szene, der weit über Baden-Württemberg hinaus vernetzt ist. Er trat in den letzten Jahren auf Demos in mehreren Bundesländern auf. Auf Telegram, wo ihm über 25.000 Menschen folgen, teilt er regelmäßig Inhalte von Rechtsextremisten. Auch er selbst fällt immer wieder mit radikalen Aussagen auf.
Im März 2023 wurde Heinrich Fiechtner wegen mehrerer Delikte zu einer Geldstrafe von insgesamt 72.500 Euro verurteilt. Die Berufung läuft. Im Dezember folgte dann eine weitere Verurteilung, unter anderem, weil Fiechtner wiederholt die Corona-Impfung mit dem Holocaust verglichen haben soll. Fiechtners Anwalt hatte damals laut Stuttgarter Zeitung angekündigt, auch in diesem Fall in Berufung gehen zu wollen.
„Ich bin kein Freund der Todesstrafe“, sagt Fiechtner, als die Journalisten ihn auf die in der Szene grassierenden Rachefantasien ansprechen. Sie konfrontieren ihn daraufhin mit einem Telegram-Beitrag, den er in seinem Kanal geteilt hat. Darin heißt es: „Für diese Mörder darf es nur die Todesstrafe geben.“ Wie passt das zusammen? Er könne nachvollziehen, dass andere „so sehr erschüttert sind“, dass sie anderen den Tod wünschen oder diesen „selbst herbeiführen“ wollen, so Fiechtner. „Wer so mit Menschenleben spielt, riskiert unter Umständen sein eigenes.“
Brutale Kommentare: Journalistin "kann weg", Anwalt soll man Finger abhacken
Seit Veröffentlichung der Dokumentation machen zentrale Kanäle und Köpfe der Querdenker-Bewegung massiv Stimmung gegen die beiden Journalisten. Ein Demo-Kanal mit mehreren zehntausend Followern schlägt als Reaktion auf die SWR-Doku eine Neuauflage der Nürnberger Prozesse vor, bei denen Nazi-Kriegsverbrecher teilweise zum Tode verurteilt wurden. Die Forderung nach einem "Nürnberg 2.0" ist in der Szene mittlerweile alltäglich.
Vor allem Lisa Hüttl ist Ziel sexistischer Anfeindungen und Beleidigungen. Vom bekannten Querdenker Bodo Schiffmann, der öffentlich vom militärischen Umsturz träumte, wird sie als „Gesinnungsjournalistin“ diffamiert. „Kann weg“, kommentiert jemand dazu. Heinrich Fiechtner beleidigt die Journalistin als „kleine Medienhure“. Dem Anwalt, der deswegen eingeschaltet wurde, solle man einen Besuch abstatten, ihr "die Zunge rausschneiden" und "die Finger abhacken wie im Mittelalter", fordert ein Kommentator in Fiechtners Kanal.
SWR-Chefredakteur Frey: Persönliche Angriffe sind Teil einer Strategie
Die Stimmungsmache der Querdenker-Szene mache sich deutlich bemerkbar, sagt Fritz Frey, Chefredakteur des SWR. Nach Veröffentlichung der Doku in der ARD-Mediathek und auf Youtube habe es eine Phase gegeben, wo ausgewogen kommentiert worden sei. Manche hätten sich bedankt, andere Kritik geübt. „Jetzt bildet sich eine Tendenz heraus, dass sehr viel Hass, Hetze und auch Beleidigendes formuliert wird.“ Zuschriften und Programmbeschwerden habe es wegen der Dokumentation ebenfalls gegeben – in einer anderen Dimension, als es sonst üblich sei.
Frey verurteilt die persönlichen Angriffe auf die beiden Journalisten und sichert ihnen die volle Unterstützung des Senders zu. „Das geht nicht spurlos an jemandem vorbei.“ Dass man Lisa Hüttl und Nino Seidel persönlich attackiere, sei Teil einer Strategie der gezielten Einschüchterung. „Man geht auf das Individuum, macht sie ganz persönlich verantwortlich und stellt sie an den Pranger.“ Dass so ein Beitrag redaktionell begleitet und abgenommen sowie juristisch geprüft werde, werde bewusst weggelassen. „Die persönliche Attacke scheint aus Sicht der Querdenker-Szene erfolgreicher zu sein.“
Reaktionen auf SWR-Doku: "Eine neue Stufe der Radikalisierung"
Wie heftig die Querdenker-Szene nun auf die Recherchen reagiere, bestätige in gewisser Weise deren Ergebnisse. „Es ist ja nicht so, dass etwas unter den Teppich gekehrt wird, im demokratischen Rahmen findet ja eine Aufarbeitung der Corona-Zeit statt“, sagt der SWR-Chefredakteur. Das habe nicht zuletzt Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier deutlich gefordert. Was Fritz Frey aber persönlich betroffen gemacht habe: „Diese Tötungsfantasien, dieses NS-Vokabular, Forderungen wie ‚Der muss weggespritzt werden‘ – dass das mit einer Selbstverständlichkeit in die Debatte eingeführt wird, das ist eine neue Stufe an Radikalisierung.“
Die Reaktionen würden aber auch ein grundsätzliches Problem offenbaren, vor dem die Gesellschaft stehe. „Wir haben versucht, uns mit den Kritikpunkten der Impfgegner zu befassen und ihren Aussagen auf den Grund zu gehen.“ Dazu habe man, wie im Journalismus üblich, Experten befragt und transparent gemacht, warum diese über Expertise verfügen – zum Beispiel das Paul-Ehrlich Institut, das Impfschäden dokumentiere. Das sei die Grundlage journalistischen Handwerks. „Wenn Sie dann sehen, wie diese Quelle sofort verächtlich gemacht wird, oder wie Tino Chrupalla bei Markus Lanz behauptet, der Verfassungsschutz sei nur dazu da, Regierungspolitik zu legitimieren, dann sind wir auf einer schiefen Ebene nach unten unterwegs, dann ist das der direkte Weg in einen Glaubenskrieg.“
Fritz Frey: "Es wird gerade versucht, journalistisches Arbeiten unmöglich zu machen"
Der SWR steht bereits seit längerem im Fokus der Querdenker-Szene. Immer wieder gab es in den letzten Jahren Demonstrationen vor dem Funkhaus in Stuttgart. Was zurzeit stattfinde, sei aber noch einmal eine Stufe über dem bisherigen Grundrauschen, das man aus der Szene gewohnt sei. „Es wird gerade versucht, journalistisches Arbeiten unmöglich zu machen, und da müssen wir als diejenigen, die sich der Demokratie verpflichtet fühlen, sehr gut aufpassen. Und beispielsweise offensiver mit juristischen Mitteln gegen die Feinde der Demokratie vorgehen.“