Taumelnder Traditionsverein: Der drohende Niedergang des VfB Stuttgart
In den nächsten Wochen entscheidet sich die mittelfristige Zukunft des VfB Stuttgart. Sportlich wie finanziell steht der taumelnde Traditionsverein wieder am Abgrund. Es droht der Niedergang eines einstigen Schwergewichts der Bundesliga. Der vermeintliche Riese vom Neckar schläft jedenfalls weiter tief und fest. Vielleicht sogar fester denn je.
Wieder eine Vier-Trainer-Saison beim VfB Stuttgart
Nach einer kurzen Phase der Kontinuität im Sportbereich sind die Schwaben wieder im Hire-and-Fire-Modus der turbulenten 2010er-Jahre angekommen. 22 (!) Cheftrainer saßen seit dem letzten Gewinn der Meisterschaft 2007 auf dem weiß-roten Recaro-Sitz in der Mercedes-Benz-Arena. Er ist wieder zum Schleudersitz geworden.
„Eigentlich hatte ich gehofft, dass der VfB in den letzten zwei, drei Jahren auf einem guten Weg ist“, sagt der Meistertorwart Timo Hildebrand: „Dieses Bild hat er in den letzten Monaten ein Stück weit zerstört.“
Alleine in der Saison 2022/23 haben vier Fußballlehrer ihr Glück versucht - Stand Anfang April, möchte man beinahe ergänzen. Nur in der Saison 1998/99 hatten die Schwaben schon einmal vier Trainer in einer Bundesliga-Spielzeit engagiert.
So hat sich der neueste VfB-Trainer Sebastian Hoeneß präsentiert
Entschlossen und hochmotiviert betrat jedenfalls Sebastian Hoeneß bei seiner Vorstellung als neuer Trainer der Stuttgarter das Podium. Der Nachfolger des am Montag freigestellten Bruno Labbadia soll den Tabellenletzten vor dem dritten Abstieg seit 2016 bewahren. „Wir sind fest davon überzeugt, dass er der richtige Trainer ist“, sagte der Vorstandsvorsitzende Alexander Wehrle am Dienstag (04.04.).
Diese Worte klangen ähnlich wie jene, die Wehrle auch bei Labbadias Vorstellung vier Monate zuvor gewählt hatte. Nun hofft der 48-Jährige erneut auf die ersehnte Kehrtwende. Neu-Coach Hoeneß, der seit dem 30. Juni 2022 ohne Verein war, gehörte bereits nach der Trennung von Matarazzo im Oktober zu den Kandidaten, mit denen sich die VfB-Führung auseinandergesetzt hatte.
Damals entschieden sich Wehrle und Wohlgemuth-Vorgänger Sven Mislintat nach einem Telefonat mit Sebastian Hoeneß' Vater und Berater Dieter dazu, den direkten Kontakt zum früheren Coach der TSG 1899 Hoffenheim nicht zu suchen. „Es ist ja bekannt, dass es damals eine andere sportliche Konstellation gab, und deshalb gab es auch keine Gespräche mit Sebastian zum damaligen Zeitpunkt“, erklärte Wehrle.
Hoeneß machte bei seiner Vorstellung einen frischen Eindruck
Inzwischen hat sich die Situation verändert. Der VfB steht in der Liga noch schlechter da und bestreitet am Mittwoch (18 Uhr/Sky) im Viertelfinale des DFB-Pokals beim Zweitligisten 1. FC Nürnberg kurioserweise das vierte Pokalspiel in dieser Saison mit dem vierten Trainer.
Überrascht sei Hoeneß nicht gewesen, als sich die VfB-Bosse mit ihm in Verbindung gesetzt hatten, sagte er selbst. Stattdessen habe er sich gefreut. Der 40-Jährige machte bei seiner Präsentation am Dienstag einen frischen und ausgeruhten Eindruck. Auch wirkte Hoeneß, der in der Jugend selbst für den VfB gespielt hat, aufmerksam - zum Beispiel als Stuttgarts Pressesprecher das Wort voreilig an einen Journalisten weitergeben wollte. Hoeneß unterbrach ihn, weil er einen Teil der vorangegangenen Frage noch nicht beantwortet hatte.
Dabei ist die Zeit knapp. Um die Mannschaft kennenzulernen, hatte Hoeneß nur eine echte Einheit vor der Partie in Nürnberg. Am Spieltag steht nur noch eine Aktivierung an. „Es gibt natürlich einen Plan. Es ist aber extrem wichtig, dass wir mit einem gewissen Schuss Pragmatismus an die Sache rangehen“, sagte Hoeneß, der an die Qualität des Teams glaubt. „Dieses Spiel ist eine Riesenchance für uns als Club. Wir wollen dort einen nächsten Step in Richtung Berlin machen.“ In der Hauptstadt findet am 3. Juni das Endspiel statt.
Ein weiteres - und weitaus wichtigeres - Ziel ist das Erreichen des Klassenverbleibs. Zwei Punkte beträgt der Rückstand des VfB auf den Relegationsplatz 16, jedoch schon fünf auf den rettenden 15. Rang. „Die Mannschaft hat Potenzial. Jetzt geht es darum, diese Potenziale auszuschöpfen, um gegen andere Mannschaften zu bestehen“, sagte Hoeneß.
Dem neuen Coach kommt vor seiner ersten Prüfung zugute, dass er keine Ausfälle zu beklagen hat. Stürmer Serhou Guirassy kehrte nach überstandener Adduktorenverletzung schon beim 0:3 beim 1. FC Union Berlin am vorigen Wochenende zurück. Die Entschlossenheit des bislang besten VfB-Torschützen der Saison deckt sich mit der Ausstrahlung von Hoeneß. Für eine „Stimmungsumkehr“ wolle er sorgen, kündigte der Trainer an. Die ist auch dringend nötig, wollen die Stuttgarter im Abstiegskampf bestehen.
Droht dem VfB ein Schicksal wie einst dem 1. FC Kaiserslautern?
Der Druck auf Trainer und Team ist gewaltig hoch. Denn: Der dritte Abstieg innerhalb von sieben Jahren wäre ein massiver Schlag ins schwäbische Kontor. Sportlich wie finanziell würde der ohnehin schon gebeutelte Klub empfindlich an Substanz verlieren.
In den kommenden Wochen geht es für die Schwaben insofern auch um die mittelfristige Zukunft. Im Worst Case droht ein Niedergang à la Kaiserslautern. Die stolzen Pfälzer wurden in den Jahren nach dem Gewinn der Meisterschaft 1998 infolge von vereinspolitischen Streitereien und wechselnden sportlichen Ausrichtungen bis in die 3. Liga durchgereicht. Ein Horror-Szenario vieler Anhänger, die aktuell ohnehin das Gefühl haben: Mein Herzensverein wird mal wieder an die Wand gefahren - mit durchgedrücktem Gaspedal.
Zwar habe man laut Alexander Wehrle durch den Deal mit dem Vermarkter Sportfive mehr Stabilität und Planungssicherheit gewonnen, die wirtschaftliche Lage bleibt dennoch angespannt. „Es ist nach wie vor unser primäres Ziel, die Klasse zu halten“, sagte Alexander Wehrle, „und dem gilt es alles unterzuordnen.“ Die Lizenzunterlagen für die nächste Spielzeit wurden fristgerecht bei der DFL eingereicht. „Wir sind in beiden Szenarien wettbewerbsfähig“, versprach Wehrle.
Vorstandsboss Alexander Wehrle massiv in der Kritik
Seine bisherigen Weichenstellungen im Sportbereich sind jedenfalls gehörig missglückt. Zuletzt ist der Plan mit Feuerwehrmann Bruno Labbadia krachend gescheitert, zuvor wurde bereits die Ära von Sven Mislintat am Wasen beendet. Dazu eine mitunter dilettantische Kommunikation. Das Bild des Vereins in der Öffentlichkeit ist katastrophal wie lange nicht. Der CEO und Sportvorstand in Personalunion steht mittlerweile massiv in der Kritik.
Längst gibt es für den taumelnden Traditionsverein nur noch ein Ziel: Die Klasse soll gehalten werden - irgendwie. Und vermutlich auch egal wie. Die Saison könnte dabei wie schon in der vergangenen Runde in einem denkwürdigen letzten Spieltag kulminieren. Dann trifft der VfB mit Ex-Hoffenheim-Trainer Sebastian Hoeneß auf die TSG Hoffenheim unter Ex-VfB-Coach Pellegrino Matarazzo. Und was sich der Fußballgott bei dieser skurrilen Konstellation gedacht hat, muss niemand verstehen. Ebenso wenig wie die VfB-Fans den Mikrokosmos in und um ihren Klub.
Gerne wird in Bezug auf einstige Größen der Branche von schlafenden Riesen gesprochen. Der vermeintliche Riese vom Neckar schläft jedenfalls weiter tief und fest. Vielleicht sogar fester denn je. Schließlich konnte ihn nicht mal die Explosion der Emotionen nach dem „Legendo“-Moment am 34. Spieltag der vergangenen Saison aufwecken.