Ein Jahr Alexander Wehrle beim VfB Stuttgart: Der ungeliebte Rückkehrer
Dienstjubiläum für Alexander Wehrle beim VfB Stuttgart. Vor genau einem Jahr hat der Bietigheimer die Nachfolge von Thomas Hitzlsperger angetreten. Weil seine bisherige Bilanz als Vorstandsvorsitzender und Sportvorstand ernüchternd ausfällt, steht der Rückkehrer in der Kritik. Sportlich wie finanziell droht dem Klub der Worst Case – der erneute Absturz in die 2. Liga.
Schon im Dezember 2022 stand der VfB mit dem Rücken zur Wand - und jetzt?
Dieses Drohszenario hat Wehrle dabei selbst gewählt. Als im Dezember vergangenen Jahres auf die Demission von Sven Mislintat die Installation von Trainer-Routinier Bruno Labbadia folgte, benötigte diese Kurskorrektur einen mehrheitsfähige Begründung. Wehrle entschied sich daraufhin, den Teufel an die Wand zu malen.
„Ein möglicher Abstieg im Jahr 2023 ist nicht vergleichbar mit 2019 oder 2016“, so der Vorstandsboss: „Da liegen zweieinhalb Jahre Corona dazwischen mit einem Corona-Umsatzverlust von 90 Millionen Euro, ein Stadioninvest in Höhe von 30 Millionen Euro, und ein möglicher Abstieg würde über 40 Millionen Umsatzverlust für den VfB Stuttgart bedeuten. Die Situation ist ernst.“
Damals stand der VfB auf dem Relegationsplatz mit einem Punkt Vorsprung auf einen direkten Abstiegsrang. Nach den Worten von Mislintat-Nachfolger Fabian Wohlgemuth „mit dem Rücken zur Wand“.
Inzwischen sind die Schwaben ganz am Tabellenende gelandet mit zwei Zählern Rückstand auf das rettende Ufer. Die damals schon bedrohliche Situation hat sich weiter verschlimmert. Und nun? Liegt der sportliche Offenbarungseid beim 0:1 gegen Wolfsburg schwer wie Blei über dem Kessel. Das alles im Schein der roten Laterne, die erstmals seit dem 12. Spieltag der Saison 18/19 wieder an der Mercedesstraße 109 hängt.
„Darf sich nicht wiederholen“: Wehrle mit klarer Botschaft an Trainer und Mannschaft
Alexander Wehrle steht 365 Tage nach seiner Rückkehr an den Wasen enorm unter Druck. Schließlich war er es, der im Dezember 2022 das Ruder um 180-Grad herumriss. Zunächst einigte man sich mit dem langjährigen Kaderplaner Sven Mislintat auf eine vorzeitige Vertragsauflösung. Diskussionen über die Trainerauswahl und die strategische Ausrichtungen seien Hauptgründe für sein Aus gewesen, sagte Mislintat unlängst.
Die Idee, mit Bruno Labbadia einen erfahrenen Coach zu installieren, der die verunsicherte Mannschaft stabilisiert und zügig Ergebnisse liefert, darf jedoch nach dem Sturz auf Rang 18 als vorläufig gescheitert betrachtet werden. Das Vertrauen der Verantwortlichen genießt der ehemalige Bundesliga-Stürmer trotzdem.
Aber: Er muss jetzt liefern. „Man kann Spiele verlieren“, sagte Wehrle gegenüber der Stuttgarter Zeitung, „aber so wie gegen Wolfsburg dürfen wir nicht auftreten, das darf sich auch nicht wiederholen.“ Die Botschaft in Richtung Trainer und Team könnte klarer nicht sein.
Als Wehrle im März 2022 wieder ein Büro im roten Clubhaus bezog, steckte das Team ebenfalls tief im Abstiegskampf. Letztlich kulminierte die vergangene Saison in jener epochalen Rettung in der Nachspielzeit des 34. Spieltages - und das ausgerechnet gegen Wehrles ehemaligen Arbeitgeber aus Köln. Doch diesen vermutlich einmaligen „Legendo-Moment“ hat der Klub nicht für sich genutzt. Eine spektakulär verpasste Chance.
Wer trägt die Verantwortung für die aktuelle Misere?
Zwar wurde das sportliche Abschneiden 2021/22 in einer großen Analyse aufgearbeitet, lediglich die richtigen Schlüsse wurden offensichtlich nicht gezogen. Verantwortung für die aktuelle Misere tragen also auch Ex-Coach Pellegrino Matarazzo und der ehemalige Sportdirektor Mislintat. Und als CEO und Sportvorstand in Personalunion selbstredend auch Alexander Wehrle.
Der betont laut StZ inzwischen, dass die Hauptursache für die Krise in Mislintats Kaderzusammenstellung liegt. In diesem Vorwurf mag eine gehörige Portion Wahrheit stecken. Aber der Schwarze Peter lässt sich so leicht nicht von der Hand legen. Schließlich wurde die riskante Mislintat-Strategie vom Sportvorstand Wehrle und dem Aufsichtsrat unter dem Vorsitz von Präsident Claus Vogt mitgetragen.
Die Stimmung im Stadion ist gekippt
Letztlich ist Wehrle in Stuttgart bislang ein von vielen Fans ungeliebter Rückkehrer. Vor allem, weil der Profifußball am Ende des Tages immer ein Ergebnisgeschäft ist und Wehrles Weichenstellungen noch nicht den erwünschten Effekt erzielt haben. Und weil seine mitunter flapsige Art der Kommunikation („Entspannt euch mal“) vielen sauer aufstößt.
Die Herzen der Anhänger fliegen dem ehemaligen Assistenten von Ehrenpräsident Erwin Staudt jedenfalls nicht zu. Eher im Gegenteil. Wehrle polarisiert und ist auf dem Weg, eine Reizfigur zu werden. Die Stimmung im Stadion ist angesichts der erschreckend harmlosen Darbietungen des Teams mittlerweile gekippt, die Atmosphäre in den sogenannten sozialen Netzwerken teilweise toxisch.
Und da das Abschneiden der Profimannschaft in diesem Geschäft nun mal über allem steht, fallen die positiven Aspekte seines Schaffens wie Fortführen und Ausbau der CSR-Themen, Infrastrukturmaßnahmen am Trainingsgelände oder der Deal mit dem Vermarkter Sportfive für mehr Planungssicherheit kaum ins Gewicht. So bleibt von Wehrles bisherigem Wirken am Wasen vorerst eine ernüchternde Bilanz und viel Kritik an seiner Person.
Immerhin ist es lediglich ein Zwischenfazit seiner Amtszeit. Sein Vertrag läuft bis 2026. Und auch die verkorkste Spielzeit 2022/23 kann noch ein Happy End finden. Angesichts der von Wehrle skizzierten Drohkulisse im Falle eines erneuten Abstiegs muss sie es vermutlich auch. Andernfalls dürfte es noch ungemütlicher werden in Bad Cannstatt. Für den Verein - und für den Vorstandsboss.