Warum die VfB-Trainersuche kompliziert ist und Sven Mislintat unter Druck steht
Die Ära Pellegrino Matarazzo beim VfB Stuttgart ist am Montag (10.10.) nach über 1000 Tagen zu Ende gegangen. Sein Aus nach dem Negativ-Lauf der letzten Monate rückt auch die Zusammenstellung des Kaders in den Blickpunkt. Damit steht auch Sportdirektor Sven Mislintat unter Druck, der nun einen passenden Nachfolger für den entlassenen Coach präsentieren muss. Aber die Suche nach einem neuen Cheftrainer wird zu einer komplizierten Angelegenheit.
Selbstzweifel bei Pellegrino Matarazzo
Die Entlassung von Matarazzo war letztlich alternativlos – und wurde einstimmig von den Verantwortlichen beschlossen. „Wir sind nun an einem Punkt angelangt, an dem wir davon überzeugt sind, dass die Trennung von Rino unausweichlich ist“, so die Begründung von Sven Mislintat. Nach der Partie gegen Frankfurt sollen Matarazzo dem Vernehmen nach erste Selbstzweifel anzumerken gewesen sein.
Nach der jüngsten Niederlage gegen Union wirkte er dann extrem angeschlagen. Auch bei Mislintat, seinem wohl größten Befürworter unter den VfB-Bossen, schwand daraufhin offenbar die Hoffnung, dass der 44-Jährige noch die Wende herbeiführen kann. Mislintat hat Matarazzo persönlich über dessen Aus unterrichtet. „Das war ein sehr trauriger Moment für uns alle. Mit einem guten Whiskey haben wir das Gespräch geführt“, gab Mislintat am Dienstagnachmittag (10.10.) einen Einblick in die emotionale Situation.
Nun muss der noch zu ermittelnde Matarazzo-Nachfolger die zuletzt so verunsicherte und verkrampfte Mannschaft wieder in die Spur bringen. Dass das Team im Kalenderjahr 2022 nur drei Siege eingefahren hat und mit neun sieglosen Spielen in Serie in die neue Saison gestartet ist, spricht dabei nicht nur gegen die Arbeit von Matarazzo, sondern nährt auch die Zweifel an der Kaderzusammenstellung. Der Klassenverbleib sollte allerdings auch mit dem aktuellen Aufgebot machbar sein.
Auch Sven Mislintat steht unter Beobachtung
Dass das mit dem Team möglich ist, muss jetzt ein neuer Coach unter Beweis stellen. Was wiederum auch den Druck auf Sportdirektor Sven Mislintat erhöht. Denn: Auch sein Wirken steht unter Beobachtung.
„Wir nehmen alle in die Pflicht“, so Mislintat: „Wir haben heute sehr intensiv auch mit der Mannschaft gesprochen. Aber auch mit dem Staff und dem Trainerteam. Und ich nehme mich da komplett mit rein. Nicht nur als Verantwortlicher für den Kader. Das ist eine Analyse, die wir im Sport machen müssen für uns. Die aber auch der gesamte Klub bei den Themen Rahmenbedingungen, Wirtschaftlichkeit und ruhiges Arbeiten machen muss.“
Zwar konnte (und musste) der Westfale in der Vergangenheit immer einen Transferüberschuss erwirtschaften und so die Bilanz aufpolieren. Doch in Folge der sportlichen Fehl-Entwicklung der letzten Monate muss sich auch der beim Großteil der Fans so beliebte Sportdirektor kritische Fragen gefallen lassen. Schließlich ist der VfB nicht das einzige Team in der Liga, dass in Folge wirtschaftlicher Zwänge Jahr für Jahr Leistungsträger abgeben muss.
So hat sich zum Beispiel Union Berlin trotz einer hohen Fluktuation an Spielern mittlerweile fest im Oberhaus etabliert. Dabei verfolgen die „Eisernen“ mit ihrer Transfer-Strategie einen Gegenentwurf zum Stuttgarter Weg mit den vielen Talenten. Statt jede Saison auf ein riskantes Pokerspiel mit der Entwicklung junger Spieler zu setzen, gibt es Köpenick einen Stamm wettergegerbter Haudegen, die Jahr für Jahr nicht nur die Klasse sichern, sondern inzwischen auch ins europäische Geschäft vorgestoßen sind.
Auch in diesem Jahr stellen die Unioner wieder eines der ältesten Teams der Liga, der VfB mal wieder das Jüngste. Aktuell rangiert der FCU auf dem ersten Tabellenplatz.
Weiter ungeklärte Zukunft von Sven Mislintat
Über Bad Cannstatt schwebt derweil neben der offenen Trainer-Frage auch die weiterhin ungeklärte Frage nach der Zukunft von Sven Mislintat. Sein Vertrag läuft nächsten Sommer aus. Über eine Verlängerung soll erst in der WM-Pause Mitte November beraten werden – und die Gespräche dürften kompliziert werden.
Zuletzt hatte es im Binnenverhältnis zwischen Sportdirektor und CEO ordentlich geknirscht. Die geplante Installation von Ex-Kapitän Christian Gentner als Leiter der Lizenzspieler-Abteilung war von Vorstandsboss Alexander Wehrle ohne Absprache mit Mislintat und dessen Team beschlossen worden. Der Kaderplaner war anschließend massiv verstimmt, erst ein klärendes Gespräch und eine öffentliche Entschuldigung von Wehrle nahmen etwas Druck vom Kessel.
Nun steht der VfB einmal mehr an einem Scheideweg. Nicht nur aufgrund der aktuell angespannten sportlichen Situation in der Liga, sondern auch mittel- und langfristig. Soll der vor mehr als drei Jahren eingeschlagene Weg unter Federführung von Sven Mislintat fortgeführt werden? Oder gibt es womöglich im Winter den ganz harten Cut?
Unübersichtliche Lage erschwert die Trainersuche
Diese Fragen verkomplizieren offensichtlich auch die Suche nach einem neuen Cheftrainer. So soll mit Domenico Tedesco ein erster Kandidat bereits abgesagt haben, auch Zsolt Löw hat laut der Bild-Zeitung eher skeptisch auf eine erste Anfrage reagiert.
Zu unübersichtlich erscheint wohl vielen in der Branche die aktuelle Lage rund um den Traditionsverein von 1893 – die sportlichen Probleme und die Aussicht, die Mannschaft innerhalb weniger Tage auf das wichtige Kellerduell gegen den VfL Bochum vorbereiten zu müssen, tun ihr Übriges. Und so übernimmt bis auf Weiteres der bisherige Co-Trainer.
„Es ist eine Option, dass Michael Wimmer das Team in dieser Funktion auch am Samstag gegen Bochum betreut, vielleicht auch in mehreren Spielen. Das ist aber nicht das Ziel“, sagte Sven Mislintat, der nun unter Druck schnellstmöglich eine passende Lösung finden muss.