Mutig, aktiv, spielerisch: So macht Sebastian Hoeneß den VfB Stuttgart stark
Mutig, aktiv, spielerisch: Auf diesen drei Grundwerten fußen die Spielprinzipien des VfB Stuttgart unter Sebastian Hoeneß. Der junge Trainer hat den Traditionsverein mitten im Abstiegskampf übernommen und in nur wenigen Monaten auf ein neues Level gehoben. Was die Schwaben aktuell auszeichnet und wo die Gründe für diesen Aufschwung liegen.
Als Hoeneß übernahm, stand der VfB mit dem Rücken zur Wand
Hoeneß benötigte am Wasen keinerlei Zeit zum Eingewöhnen. Er hätte sie ohnehin nicht gehabt. Er musste direkt funktionieren. Und das unter gewaltigem Druck. Seinem ersten Auftritt am Wasen an einem Dienstagnachmittag Anfang April folgte kaum 24 Stunden später die erste Bewährungsprobe unter Wettkampfbedingungen. Die Feuertaufe im DFB-Pokalviertelfinale beim Zweitligisten 1. FC Nürnberg (1:0) wurde bestanden, ebenso wenige Tage später der erste Stresstest im Abstiegskampf auswärts beim VfL Bochum (3:2).
Dem bis auf die Knochen verunsicherten Team impfte der Coach in Rekordzeit neues Selbstvertrauen ein. Dazu wurde das Visier nach der bleiernen Phase unter Bruno Labbadia nach unten geklappt. Der VfB stand mit dem Rücken zur Wand, konnte sein Heil also auch guten Gewissens in der Offensive suchen.
Auch kommunikativ wählte Hoeneß klugerweise einen deutlich optimistischeren Ansatz als sein Amtsvorgänger. Von Beginn an machte er klar: Diese Mannschaft kann etwas und ich werde ihr dabei helfen, das vorhandene Potential zu heben. Letztlich wurde Hoeneß‘ mutige Herangehensweise mit dem Klassenerhalt belohnt.
Dass der junge Trainer schnell einen Zugang zur Mannschaft gefunden hat, ermöglichte vermutlich auch die Aufräum- und Umbauarbeiten am Kader im Sommer. Die überstandene Relegation gegen den HSV ist das Fundament des aktuellen Aufschwungs. Ein Erlebnis, das Trainer und Team zusammengeschweißt hat. Gegenseitiges Vertrauen und Zutrauen in die eigenen Stärken sind mittlerweile wieder da. Fußballspiele werden eben häufig auch im Kopf entschieden.
Aber auch auf dem Platz ging es voran. War Hoeneß zu Beginn seiner Amtszeit eher als Pragmatiker gefordert, so konnte er vor der neuen Saison erstmals in die Tiefe gehen. Das Gesicht des Kaders veränderte sich, aber auch die Spielweise der Schwaben wurde angepasst, weiter geschärft. Mit dem Resultat: 14 Tore an den ersten vier Spieltage, neun Punkte, Tabellenplatz vier. Und Fußball-Deutschland und vermutlich auch der ein oder andere VfB-Fan reibt sich verwundert die Augen: „Des isch onser VfB?“
Auf diese Spielprinzipien baut Sebastian Hoeneß beim VfB Stuttgart
Hoeneß setzt beim VfB auf drei Spielprinzipien: Mutig, aktiv, spielerisch. Unter seinem Vor-Vor-Vor-Gänger Pellegrino Matarazzo waren die Stuttgarter vor allem zu Beginn der über 1000 Tage währenden Ära des Italoamerikaners eine messerscharfe Umschaltmannschaft. Mit der Zeit wurde das System Matarazzo aber von den Gegnern entschlüsselt und dementsprechend ausgehebelt. Der nächste Entwicklungsschritt, als Matarazzo den VfB zu einer Ballbesitzmannschaft formen wollte, gelang nicht. Und unter dem als erfahrenem Feuerwehrmann verpflichteten Labbadia gelang dann so gut wie überhaupt nichts mehr.
Hoeneß hat den VfB nun offensichtlich auf die nächste Stufe gehoben. In nahezu allen Bereichen zeigt die Lernkurve nach oben. Die Ballbesitzphasen nehmen merklich zu, die Zweikampf- und Passquoten sind stimmig und Tempo im Konterspiel gibt es mit den schnellen Außen auch weiterhin. Dazu ist Torjäger Serhou Guirassy vermutlich in der Form seines Lebens, was auch damit zu tun hat, dass Hoeneß das Stuttgarter Spiel noch radikaler auf die Sturmspitze aus Guinea zugeschnitten hat. Und da Guirassy trifft und trifft und trifft, haben die Schwaben auch beim Thema Effektivität massiv zugelegt. Der VfB hat also nicht nur viel Spielkontrolle, sondern sucht auch zielführend und vertikal den Weg zum gegnerischen Tor.
Der Endo-Abgang hat nicht die befürchtete Lücke gerissen
Das aktuell so stimmige Gesamtbild rundet eine überraschend sattelfeste Defensive (die zweite Halbzeit in Leipzig ausgeklammert) ab, die vor allen Dingen vom neuen Torhüter Alexander Nübel gestützt wird. Der Ruhepol zwischen den Pfosten stabilisiert die schwäbische Abwehrreihe, in der die Abgänge von Borna Sosa und Konstantinos Mavropanos bislang eigentlich noch überhaupt nicht aufgefallen sind.
Selbst der Weggang von Herzstück Wataru Endo scheint nicht die befürchtete Lücke gerissen zu haben. Das neue Mittelfeld um Atakan Karazor und Angelo Stiller, der Maschinenraum schnurrt bisher einwandfrei. „Es ist auch noch einen Tick zu früh, um das abschließend beurteilen zu können“, sagte Hoeneß jetzt vor dem kommenden Heimspiel gegen Darmstadt, „aber wir hatten natürlich die Hoffnung, dass es schnell gelingt. Es geht in die richtige Richtung.“
Alles in allem wirkt das VfB-Gebilde jedenfalls deutlich robuster und widerstandsfähiger als im Vorjahr. Als Beleg dient der jüngste Auftritt beim 3:1 in Mainz. Dort gewann der VfB starke 59,8 Prozent der Zweikämpfe – und das gegen einen giftigen Gegner.
Zumal der VfB auch mental gereift scheint. Rückschläge steckt die Truppe inzwischen deutlich besser weg. Ebenfalls zu sehen am Samstagnachmittag in Rheinhessen. Auf das Stuttgarter Führungstor folgte eine Mainzer Drangphase samt Ausgleichstreffer. Doch der VfB knickte daraufhin nicht ein. Auch, weil Hoeneß reagierte. Verteidiger Maximilian Mittelstädt kam für Stürmer Silas, die Abwehrkette wurde zum Fünferriegel und das Stuttgarter Spiel wieder stabiler.
Wie nachhaltig der Aufwärtstrend unter Hoeneß ist, bleibt abzuwarten. Am Wasen verliert in jedem Fall niemand die Bodenhaftung. Auch das dürfte ein Faktor sein, der die positive Entwicklung der vergangenen Monate begünstigt hat. Und den aktuellen Höhenflug weiter vorantreibt.